Das Tor-Netzwerk galt lange als sicherer Ort für anonyme Internetnutzung. Doch Recherchen des ARD-Politikmagazins Panorama und STRG_F zeigen nun, dass deutsche Strafverfolgungsbehörden offenbar in der Lage sind, Tor-Nutzer durch gezielte Überwachungsmaßnahmen zu deanonymisieren. In vier dokumentierten Fällen konnten die Ermittler erfolgreich auf die Daten von Darknet-Nutzern zugreifen.
Besonders betroffen von diesen „Timing-Analysen“ sind Webseiten im Darknet. Die dabei gewonnenen Daten ermöglichen es, die Anonymität des Tor-Netzwerks vollständig auszuhebeln. „Die Unterlagen in Verbindung mit den geschilderten Informationen deuten stark darauf hin, dass Strafverfolgungsbehörden wiederholt und seit mehreren Jahren erfolgreich Timing-Analysen-Angriffe gegen ausgewählte Tor-Nutzer durchführten, um diese zu deanonymisieren,“ sagte Matthias Marx, Sprecher des Chaos Computer Clubs.
Tor ist das größte Anonymisierungsnetzwerk der Welt. Mit fast 8000 Knotenpunkten in rund 50 Ländern bietet es Nutzerinnen und Nutzern die Möglichkeit, anonym Webseiten anzusteuern und im Darknet zu surfen. Gerade für Journalistinnen, Menschenrechtsaktivisten und Personen in Ländern mit Internetzensur ist Tor ein wichtiges Werkzeug. Doch die Anonymität von Tor lockt auch Kriminelle an, die es für illegale Aktivitäten wie Cyberangriffe oder den Handel mit illegalen Waren nutzen.
Jahrelang stellten die Verschlüsselungstechniken des Tor-Netzwerks eine kaum zu überwindende Hürde für Ermittlungsbehörden dar. Doch nun haben sich die Methoden offenbar weiterentwickelt. Mit der sogenannten „Timing-Analyse“ überwachen die Behörden Tor-Knotenpunkte über einen längeren Zeitraum. Je mehr Knotenpunkte dabei kontrolliert werden, desto wahrscheinlicher lässt sich die Verbindung eines Nutzers zurückverfolgen.
Die Recherchen von Panorama und STRG_F zeigen, dass das Bundeskriminalamt (BKA) und die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main im Ermittlungsverfahren gegen die Darknet-Plattform „Boystown“ erfolgreich Tor-Knoten überwachten, die von den Administratoren der Plattform genutzt wurden. So konnten sie den Administrator Andreas G. in Nordrhein-Westfalen festnehmen. „Wir können eine 'Timing Analyse' im Boystown-Verfahren weder bestätigen noch dementieren,“ erklärte die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt auf Anfrage.
Auch andere Ermittlungsbehörden in Deutschland wollten sich zu der Überwachungsmethode nicht äußern. Das Tor Project, das die Infrastruktur des Netzwerks bereitstellt, erklärte: „Tor-Nutzer können den Tor-Browser weiterhin sicher verwenden, um anonym im Internet zu surfen.“ Ohne Einblick in die Rechercheunterlagen wolle man jedoch nicht spekulieren.
OZD / NDR Norddeutscher Rundfunk
OZD-Kommentar:
Das Ende der Anonymität im Darknet?
Die neuen Erkenntnisse werfen ein Licht auf die Verwundbarkeit des Tor-Netzwerks. Die Anonymität, auf die sich viele verlassen haben, scheint nicht mehr so sicher zu sein, wie bislang angenommen. Für Kriminelle im Darknet ist dies sicherlich ein schwerer Schlag, aber auch Journalistinnen und Menschenrechtsaktivisten müssen sich fragen, ob sie weiterhin auf Tor vertrauen können. Es wird spannend sein, wie das Tor Project auf diese Herausforderung reagiert.
OZD-Prognose:
In den nächsten Wochen könnten sich die Diskussionen über den Schutz der Anonymität im Internet verschärfen. Es ist wahrscheinlich, dass sowohl das Tor Project als auch Strafverfolgungsbehörden auf neue Entwicklungen reagieren werden, um ihre jeweiligen Interessen zu wahren. Technologische Anpassungen von Tor und verbesserte Überwachungsmethoden der Behörden könnten sich weiter intensivieren.
Biographien und Erklärungen:
Wer ist Matthias Marx?
Matthias Marx ist ein Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC), einer der weltweit einflussreichsten Hackerkollektive. Der CCC setzt sich für Datenschutz und digitale Rechte ein und warnt regelmäßig vor Überwachungsmaßnahmen.
Was ist das Tor Project?
Das Tor Project ist eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in den USA, die das Tor-Netzwerk betreibt und fördert. Tor ermöglicht es Nutzern, anonym im Internet zu surfen, indem es ihre Verbindungen über mehrere Server leitet und verschlüsselt.
Was ist das Bundeskriminalamt (BKA)?
Das Bundeskriminalamt (BKA) ist eine deutsche Sicherheitsbehörde, die für die Bekämpfung schwerer und organisierter Kriminalität verantwortlich ist. Es führt Ermittlungen in Fällen von Cyberkriminalität, Terrorismus und schweren Straftaten durch.
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