Die Lage in Bolivien spitzt sich zu: Anhänger des ehemaligen Präsidenten Evo Morales haben nach Angaben der Regierung mindestens 200 Soldaten als Geiseln genommen. Die Soldaten wurden am Freitag in der Region Chapare im Departamento Cochabamba von Demonstranten festgehalten. Nach Mitteilung des bolivianischen Außenministeriums waren die drei betroffenen Militäreinheiten "von irregulären Gruppen angegriffen" worden, die Waffen und Munition an sich brachten.
Die Anhänger von Morales blockieren seit Mitte Oktober zahlreiche Straßen im Zentrum des Landes. Sie protestieren gegen die "juristische Verfolgung" des Ex-Präsidenten und fordern seine Rehabilitation. Um die Blockaden aufzulösen, hatte die Regierung Militärkräfte entsandt, die nun selbst zum Ziel der Demonstranten wurden.
Ein von lokalen Medien verbreitetes Video zeigt 16 Soldaten, die von Demonstranten mit angespitzten Stöcken umringt sind. Ein Soldat im Video sagt: "Das Cacique-Maraza-Regiment ist von Tipnis-Aktivisten übernommen worden. Sie haben uns Wasser und Strom abgestellt und halten uns als Geiseln." Die Region Tipnis gilt als Hochburg der Morales-Anhänger.
Morales, der in Bolivien weiterhin eine starke Anhängerschaft hat, sieht sich derzeit Ermittlungen wegen angeblicher Vergehen während seiner Amtszeit gegenüber. Konkret geht es um Vorwürfe, im Jahr 2015 eine Minderjährige vergewaltigt zu haben, was Morales bestreitet. Er bezeichnet die Anschuldigungen als politisch motiviert und sieht darin einen Versuch, seine Rückkehr an die Macht zu verhindern.
Am Freitag kündigte Morales einen Hungerstreik an, um die Regierung zu Verhandlungen zu zwingen. Später forderte er seine Unterstützer jedoch auf, die Straßenblockaden aufzugeben, um ein weiteres "Blutvergießen zu verhindern". Dennoch bleibt die Situation angespannt, und die Geiselnahme der Soldaten stellt die bolivianische Regierung vor große Herausforderungen.
Der frühere Präsident hat erneut politisches Interesse gezeigt: Er kündigte an, bei der Präsidentschaftswahl im August kommenden Jahres antreten zu wollen – trotz der verfassungsmäßigen Beschränkung. Damit will Morales den amtierenden Präsidenten Luis Arce herausfordern, der einst ein enger Verbündeter war, sich jedoch inzwischen von Morales distanziert hat.
Der linksgerichtete Morales, der von 2006 bis 2019 als erster indigener Präsident Boliviens regierte, genoss lange Zeit große Beliebtheit. Allerdings versuchte er 2019 trotz verfassungsmäßiger Beschränkungen, eine vierte Amtszeit zu erreichen. Nach massiven Protesten und dem Vorwurf von Wahlbetrug trat er zurück und verließ vorübergehend das Land.
OZD / ©AFP
OZD-Kommentar:
Morales und die Spaltung Boliviens: Ein gefährliches Spiel
Die Eskalation der Proteste zeigt, wie tief Bolivien zwischen den Lagern Morales und der Regierung gespalten ist. Die Geiselnahme von Soldaten, die Gewaltandrohung und der Hungerstreik verdeutlichen den politischen Druck, den Morales ausübt. Er mobilisiert seine Anhänger, während er gleichzeitig die Regierung zur Verhandlung drängen will. Doch die Rückkehr des ehemaligen Präsidenten birgt Risiken: Eine erneute Kandidatur könnte das Land weiter destabilisieren und die politische Polarisierung verschärfen.
OZD-Prognose:
Die nächsten Wochen werden entscheidend sein, wie die Regierung die Geiselkrise und die Proteste unter Kontrolle bringt. Morales’ Kandidatur könnte das politische Klima weiter anheizen. Ein geregelter Ablauf der Präsidentschaftswahl im August ist durch die Spannungen stark gefährdet, und das Land könnte vor unruhigen Zeiten stehen.
Biographien und Erklärungen:
Wer ist Evo Morales?
Evo Morales war von 2006 bis 2019 der erste indigene Präsident Boliviens. Er galt als Vertreter der indigenen Bevölkerung und setzte sich für soziale Reformen ein. Nach drei Amtszeiten geriet er 2019 aufgrund verfassungswidriger Wiederwahlversuche und Wahlmanipulationsvorwürfe in die Kritik und trat zurück.
Wikipedia-Seite zu Evo Morales
Was ist Tipnis?
Das Gebiet Tipnis (Territorium Indigener Völker des Nationalparks Isiboro-Sécure) ist eine Region in Bolivien und Hochburg der Morales-Anhänger. Es wurde bekannt durch Proteste gegen den Bau einer Schnellstraße, die das Naturschutzgebiet durchqueren sollte und auf Widerstand der indigenen Bevölkerung stieß.
Wikipedia-Seite zu Tipnis
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Foto: FERNANDO CARTAGENA / AFP