Münster - Schmelzende Polkappen, extreme Wetterereignisse, Artensterben, Zunahme von Infektionskrankheiten: Der Klimawandel ist längst Teil unseres Alltags, die Auswirkungen sind weltweit spürbar. Hunderte Forscher widmen sich rund um den Globus deswegen intensiver denn je der Frage, wie die Menschheit gegensteuern kann, um die übelsten Folgen abzuwenden. Dabei wäre es mehr als lohnenswert, betont Prof. Dr. Klaus-Holger Knorr vom Institut für Landschaftsökologie, einen Lebensraum ins Visier zu nehmen, der zwar zu 95 Prozent aus Wasser besteht, der zudem aufgrund des einen oder anderen Kriminalfilms einen denkbar schlechten Ruf hat, der aber für das Weltklima wichtiger ist als alle Wälder der Erde zusammen – Moore. „Moore machen nur drei Prozent der Landfläche aus“, rechnet der Leiter der Arbeitsgruppe Ökohydrologie und Stoffkreisläufe vor, „aber sie speichern in etwa so viel Kohlenstoff wie alle Wälder auf den Kontinenten zusammen.“
Auch in Deutschland sind die Verhältnisse eindeutig. Von Flensburg bis Garmisch gibt es zwar deutlich mehr Wald- als Moorflächen (10,4 Millionen zu 1,5 Millionen Hektar) – bei der Kohlenstoffdichte sind Moore mit 821 Tonnen pro Hektar aber wesentlich umweltfreundlicher als Wälder, in denen 221 Tonnen Kohlenstoff pro Hektar gespeichert werden. „Es ist gut und richtig, die Bedeutung der Wälder für eine schnelle Abfederung des Klimawandels hervorzuheben“, erläutert Klaus-Holger Knorr. „Aber es wäre mindestens ebenso hilfreich, neben einer Waldsterbens- auch eine Moorsterbens-Debatte zu führen. Doch leider müssen wir feststellen: Moore haben keine Lobby.“ Dies sei umso bedauerlicher, als dass die Menschheit bereits heute mit einer um 1,5 Grad höheren Durchschnittstemperatur klarkommen müsste, hätten sich nach Ende der Eiszeit vor rund 13.000 Jahren keine Moore gebildet.
Dass Moore nur wenig Fürsprecher haben, zeigt sich auch daran, dass der Großteil der Flächen zur Nutzung trockengelegt oder gar „abgetorft“ wird: Der Torf wird abgebaut und zum Beispiel als perfekter Wasserspeicher zum Kultursubstrat für die Pflanzenzucht – ob in der Gärtnerei oder auf dem Balkon – weitergenutzt. In Deutschland, vorrangig in Niedersachen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, trifft dies auf mittlerweile rund 95 Prozent der Moorflächen zu; allenfalls im Harz, im Schwarzwald oder dort, wo sich die Moorflächen nur schwer trockenlegen oder abbauen ließen, gibt es noch intakte Gebiete. Klaus-Holger Knorr beschreibt diesen Prozess anders, drastischer. „Die Moore werden degradiert und damit zerstört.“
Mit fatalen Folgen. Anstatt den Kohlenstoff zu speichern, werden sie durch die Trockenlegung zu wahren Kohlendioxidschleudern. In Deutschland gelangen auf diese Weise jährlich rund 32.000 Tonnen des klimaschädlichen Gases in die Atmosphäre – in Indonesien sind es sogar 500 Millionen Tonnen pro Jahr. „Bislang wurden nur 15 Prozent der weltweiten Moore trockengelegt“, rechnet der Greifswalder Moorforscher Prof. Dr. Hans Joosten vor. „Aber dies trägt mit rund fünf Prozent mehr zu den globalen Treibhausgas-Emissionen bei als der gesamte Flugverkehr.“
Die Degradierung ist in Deutschland meistens Folge einer land- oder forstwirtschaftlichen Nutzung. Die Moore sind damit oft dauerhaft verloren. Aber selbst eine Renaturierung beziehungsweise „Wiedervernässung“ ist nicht unbedingt eine einfache Lösung – auf die darauffolgende Vegetationsentwicklung kommt es an. Ein entscheidender Fortschritt wäre es, wenn danach Torfmoose statt der üblichen Binsen, Seggen und Birken gedeihen würden. Klaus-Holger Knorr arbeitet deswegen mit einer Firma aus Vechta an einem Versuch der gezielten „Einbringung" von Torfmoosen bei der Renaturierung. Eine andere Möglichkeit der schonenden Moornutzung, wo eine Renaturierung (noch) nicht in Frage kommt, wäre beispielsweise die des „Sphagnum Farming“, dem großflächigen Anbau von Torfmoosen. Aber noch lohne sich dies wirtschaftlich nicht. Deswegen wäre es hilfreich, betont der münstersche Wissenschaftler, wenn die Politik dies unterstütze. Man müsse nur endlich anerkennen, unterstreicht Klaus-Holger Knorr, „dass es einen spürbaren Effekt auf das Weltklima hätte, wenn wir uns um unsere Moore kümmern würden“.
Forscher beobachten Permafrost-Moore mit Sorge / Gefahr von starken Kohlenstoff-Emissionen steigt
Moore sind aus vielfältigen Gründen faszinierende Biotope – gleich ob es sich um Hochmoore handelt, die sich aus Regenwasser speisen, oder um Niedermoore, die an das Grundwasser angeschlossen sind. Weil Moore erstens eine Art Ding der Unmöglichkeit bieten: über ein Areal zu laufen, das zu 95 Prozent aus Wasser besteht. Moore sind zweitens wertvolle Archive. Über die Analyse der in Mooren sehr gut konservierten Pollenarten und über Vegetationsreste können Fachleute die Evolution des Moores beziehungsweise die Vegetation der Vergangenheit nachvollziehen – ein Moor wächst in rund 10.000 Jahren etwa zwischen fünf und acht Meter.
Doch nicht nur der Mensch setzt den Mooren mit seinem Drang, diese Flächen land- oder forstwirtschaftlich zu nutzen, zu. Auch der Klimawandel mit immer höheren Temperaturen und zum Teil langen Trockenperioden sorgt dafür, wie der WWU-Ökohydrologe Prof. Dr. Klaus-Holger Knorr erläutert, dass sich zunehmend ein „Moor-Stillstandskomplex“ einstellt. Mit der Folge, dass die Moore nicht nur nicht mehr wachsen, sondern langsam, aber sicher auszutrocknen drohen.
Mit Sorge beobachten die Wissenschaftler in diesem Zusammenhang auch die Entwicklung von Mooren in einem sehr speziellen Umfeld – die Permafrost-Moore. Von Permafrost sprechen Experten, wenn die Temperatur eines Bodens mindestens zwei Jahre in Folge bei null Grad oder darunter liegt und somit dauerhaft gefroren ist. Permafrost kommt in arktischen, antarktischen Regionen und in zahlreichen Hochgebirgen vor – so sind große Teile Russlands, Kanadas, Alaskas und westliche Teile Chinas durchgehend gefroren.
Mit Blick auf die laut Umweltbundesamt „gewaltigen Mengen an Kohlenstoffvorräten“, die in Permafrostböden eingelagert sind, sprechen Wissenschaftler bereits von einer „gefährlichen Bombe“ – nur wisse man noch nicht genau, wie sie funktioniere. Fest steht allerdings bereits, dass die Tiefe der Auftauschicht weltweit zugenommen hat und dass zu befürchten ist, dass „große Mengen“ des eingelagerten Kohlenstoffs in Form von Kohlendioxid und vor allem in Form des extrem klimarelevanten Methangases emittieren, wenn diese gefrorenen Moore auftauen.
Norbert Robers
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 6, Oktober 2019.
Foto: WWU - MünsterView