Das Landgericht Schweinfurt hat am Dienstag ein Elternpaar wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, nachdem ihre 16-jährige Tochter an den Folgen ihrer Magersucht verstorben war. Das Urteil fiel ohne die Verhängung einer Strafe aus. Nach Angaben des Gerichts sei dies gerechtfertigt, da die Folgen der Tat für die Eltern selbst so schwer seien, dass eine Bestrafung „offensichtlich verfehlt“ wäre. Dieses Vorgehen ist im deutschen Strafrecht möglich, wenn die Täter bereits durch die Tragweite der Ereignisse erheblich getroffen wurden. Das Urteil folgte der Argumentation der Verteidigung, die ebenfalls einen Verzicht auf eine Strafe gefordert hatte.
Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor eine andere Bewertung der Tat vorgenommen. Sie sah das Verhalten der Eltern nicht nur als fahrlässige Tötung, sondern als versuchten Totschlag und forderte eine zweijährige Freiheitsstrafe auf Bewährung. Diese Forderung wurde jedoch vom Gericht zurückgewiesen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da beide Parteien die Möglichkeit haben, Rechtsmittel einzulegen.
Die verstorbene Tochter litt bereits seit längerem an Magersucht, einer Krankheit, die sowohl körperlich als auch psychisch schwerwiegende Auswirkungen hat. Ende 2022, kurz vor ihrem Tod, erkrankte sie zusätzlich an einer Covid-19-Infektion und einem Magen-Darm-Virus. In ihrer letzten Nacht verschlechterte sich ihr Zustand dramatisch, woraufhin die Eltern den Notarzt alarmierten. Trotz des schnellen Eingreifens konnte die Jugendliche nicht mehr gerettet werden.
Das Gericht erkannte die Komplexität des Falls an und betonte, dass die Eltern unter der psychischen Last des Verlustes bereits erheblich litten. Der Tod des Kindes und die damit verbundene Selbstvorwürfe würden eine stärkere Strafe darstellen als jede juristische Maßnahme. Dieses Urteil wirft jedoch auch Fragen über die gesellschaftliche und rechtliche Verantwortung im Umgang mit Erkrankungen wie Magersucht auf.
OZD / ©AFP
OZD-Kommentar:
Ein Urteil ohne Strafe – aber ist das gerecht?
Der Tod einer 16-Jährigen, die an Magersucht litt, ist eine Tragödie, die tiefer nicht sein könnte. Dass das Landgericht Schweinfurt die Eltern wegen fahrlässiger Tötung verurteilte, aber von einer Strafe absah, ist juristisch nachvollziehbar – emotional jedoch schwer zu ertragen.
Magersucht ist eine schwerwiegende Krankheit, die nicht nur die Betroffenen, sondern auch deren Familien an den Rand ihrer Belastbarkeit bringt. Dennoch bleibt die Frage: Hätten die Eltern früher eingreifen können? Wäre eine intensivere Behandlung oder gar die Einweisung in eine Klinik möglich gewesen? Der Verzicht auf eine Strafe mag in diesem Fall menschlich erscheinen, doch er wirft auch die Frage auf, welche Signale an die Gesellschaft gesendet werden.
Ein solches Urteil darf nicht als Freifahrtschein für passives Verhalten verstanden werden. Es muss klar sein, dass Angehörige eine besondere Verantwortung tragen, wenn es um lebensbedrohliche Erkrankungen wie Magersucht geht. Gleichzeitig muss die Gesellschaft mehr Ressourcen bereitstellen, um Betroffenen und ihren Familien zu helfen – bevor es zu spät ist. Dieses Urteil sollte eine Debatte darüber anstoßen, wie Deutschland im Umgang mit psychischen Erkrankungen sowohl präventiv als auch juristisch handeln muss.
Biographien und Erklärungen
Was ist Magersucht?
Magersucht
(Anorexia nervosa) ist eine Essstörung, die durch extremes
Untergewicht, eine gestörte Wahrnehmung des eigenen Körpers und eine
Angst vor Gewichtszunahme gekennzeichnet ist. Sie hat oft schwerwiegende
körperliche und psychische Folgen.
Was bedeutet „fahrlässige Tötung“?
Fahrlässige
Tötung liegt vor, wenn der Tod eines Menschen durch Nachlässigkeit oder
Unterlassung verursacht wird. Im Unterschied zu Totschlag fehlt die
Absicht, jemanden zu töten.
Wann kann ein Gericht auf eine Strafe verzichten?
Nach
deutschem Recht (§ 60 StGB) kann ein Gericht auf die Verhängung einer
Strafe verzichten, wenn die Tatfolgen den Täter so schwer belasten, dass
eine Bestrafung unangemessen erscheint.
Alle Angaben ohne Gewähr.
Foto: AFP