Der Vergewaltigungsprozess von Avignon nähert sich seinem Höhepunkt. Nach den Plädoyers der Staatsanwaltschaft am Mittwoch fordert diese für den Hauptangeklagten Dominique Pelicot die Höchststrafe von 20 Jahren Haft. Für die übrigen 50 Mitangeklagten verlangt sie Strafen zwischen vier und 18 Jahren. Die Taten, die sich über einen Zeitraum von zehn Jahren erstreckten, gelten als einer der schwerwiegendsten Fälle sexualisierter Gewalt in Frankreichs jüngerer Geschichte.
Dominique Pelicot hatte seine damalige Ehefrau Gisèle über Jahre hinweg mit Schlafmitteln betäubt und sie mehrfach vergewaltigt. Dabei lud er über das Internet Männer ein, sich an seiner bewusstlosen Frau ebenfalls zu vergehen. Die Mitangeklagten nahmen die Einladungen an, einige von ihnen kehrten mehrfach zurück. Laut Staatsanwaltschaft soll das Urteil eine klare Botschaft senden: „Es gibt keine normale, versehentliche oder unfreiwillige Vergewaltigung.“
Die Staatsanwaltschaft wies die Argumente vieler Angeklagter entschieden zurück. Einige hatten behauptet, nicht gewusst zu haben, dass es sich um eine Vergewaltigung handelte, andere beriefen sich auf die angebliche Zustimmung der Frau, da ihr Ehemann anwesend war. Solche Aussagen seien nichts als „Versuche, sich der Verantwortung zu entziehen“, erklärte Staatsanwältin Laure Chabaud.
Der Prozess offenbarte eine erschütternde Brutalität: Einige Angeklagte kamen bis zu sechs Mal, ein Täter handelte trotz einer HIV-Infektion ohne Kondom, und ein anderer übernahm Pelicots Vorgehen, um gemeinsam mit ihm seine eigene Ehefrau zu vergewaltigen. Bei mehreren Angeklagten wurden zudem kinderpornografische Inhalte gefunden.
Für einen einzigen Angeklagten forderte die Staatsanwaltschaft eine mildere Strafe von vier Jahren Haft, da es wegen einer Erektionsstörung nicht zu einer Vergewaltigung gekommen war. Die übrigen Angeklagten sollen zwischen zehn und 18 Jahren Haft erhalten.
Die Verbrechen haben in Frankreich eine Debatte über Reformen im Sexualstrafrecht ausgelöst. Derzeit setzt eine Verurteilung wegen Vergewaltigung voraus, dass der Täter Gewalt oder Zwang anwendet oder androht. Von einer fehlenden Zustimmung des Opfers ist bisher nicht die Rede. Ein parteiübergreifender Gesetzesentwurf, der das ändern soll, ist in Vorbereitung.
Das Urteil im Prozess von Avignon wird für den 20. Dezember erwartet. Die Verteidigung der Angeklagten will in den nächsten Tagen ihre Argumente vorbringen. Doch schon jetzt hat der Fall tiefe Spuren hinterlassen und könnte Frankreichs Umgang mit sexualisierter Gewalt nachhaltig prägen.
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OZD-Kommentar:
Der Fall Avignon: Eine schockierende Anklage gegen ein kaputtes System
Der Vergewaltigungsprozess von Avignon ist mehr als ein monströser Einzelfall – er ist ein Mahnmal für die systemischen Schwächen in Frankreichs Sexualstrafrecht. Jahrzehntelang hat das Gesetz Täter geschützt, die auf die Schweigsamkeit oder Wehrlosigkeit ihrer Opfer vertrauten. Der Fall zeigt brutal, wie tief solche Strukturen in unserer Gesellschaft verwurzelt sind.
Dass 51 Männer, darunter Wiederholungstäter und bereits Vorbestrafte, aktiv an diesen Taten beteiligt waren, ist erschütternd. Noch abscheulicher sind ihre Verteidigungsstrategien: von angeblicher Unwissenheit bis hin zur Behauptung, die Anwesenheit des Ehemanns sei gleichbedeutend mit der Zustimmung des Opfers. Solche Argumente offenbaren eine Haltung, die die Würde und Rechte von Frauen mit Füßen tritt.
Die Forderungen der Staatsanwaltschaft sind ein notwendiges Signal, doch sie reichen nicht aus. Frankreichs Justizsystem muss endlich anerkennen, dass der Wille des Opfers im Zentrum stehen muss – nicht die Frage, ob Gewalt angewendet wurde. Es ist erschreckend, dass dies im Jahr 2024 immer noch diskutiert werden muss.
Der Prozess von Avignon zeigt, wie dringend Reformen notwendig sind. Doch Worte allein genügen nicht. Es braucht konkrete Maßnahmen, um sicherzustellen, dass solche Verbrechen nicht nur geahndet, sondern auch verhindert werden können. Dieser Fall darf nicht nur als Beispiel für die Abgründe menschlicher Grausamkeit in Erinnerung bleiben – er muss ein Wendepunkt sein.
Biographien und Erklärungen
Wer ist Dominique Pelicot?
Dominique
Pelicot ist der Hauptangeklagte im Vergewaltigungsprozess von Avignon.
Er betäubte seine Ehefrau über Jahre hinweg und ermöglichte anderen
Männern, sie im Zustand der Bewusstlosigkeit zu vergewaltigen.
Was ist ein Femizid?
Ein Femizid ist die Tötung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts. Er gilt als extremste Form geschlechtsspezifischer Gewalt.
Was ist das Problem mit Frankreichs Sexualstrafrecht?
In
Frankreichs aktuellem Strafrecht setzt eine Vergewaltigung die
Anwendung oder Androhung von Gewalt voraus. Das Fehlen einer Zustimmung
des Opfers reicht nicht für eine Verurteilung aus – eine Regelung, die
zunehmend kritisiert wird.
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