Mit einer Reise nach Kiew und der Ankündigung umfangreicher Rüstungslieferungen hat Bundeskanzler Olaf Scholz ein Zeichen der Unterstützung für die Ukraine gesetzt. Im Gespräch mit Präsident Wolodymyr Selenskyj versprach Scholz zusätzliche Rüstungsgüter im Wert von 650 Millionen Euro, die noch im Dezember geliefert werden sollen. Dabei betonte er, Deutschland bleibe der „stärkste Unterstützer der Ukraine in Europa“ und stehe unverändert an der Seite des Landes, das sich „seit mehr als 1000 Tagen auf heldenhafte Art und Weise“ gegen Russlands Angriffskrieg verteidige.
Doch die Reise nach Kiew findet in einem heiklen Moment statt. Scholz sieht sich wachsender Kritik ausgesetzt, sowohl wegen seiner zögerlichen Haltung in zentralen Fragen wie der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern als auch wegen seines kürzlichen Telefonats mit Wladimir Putin. Die Gespräche mit dem russischen Präsidenten – das erste seit fast zwei Jahren – stoßen in Kiew und bei westlichen Partnern auf Unverständnis. Selenskyj selbst hatte Scholz vorgeworfen, „die Büchse der Pandora“ zu öffnen, während andere europäische Partner Scholz’ Kurs als widersprüchlich bezeichnen.
Der Krieg selbst hat sich zuletzt weiter verschärft. Russland setzte in der vergangenen Woche erstmals die neuartige Hyperschallrakete Oreschnik ein, die auf die ukrainische Großstadt Dnipro abgefeuert wurde. Zugleich intensivierte Moskau seine Luftangriffe auf die Ukraine, zuletzt mit einer Angriffswelle aus 110 Drohnen. In der bislang weitgehend verschonten Stadt Ternopil wurden dabei ein Mann getötet und mehrere Menschen verletzt.
Vor diesem Hintergrund appelliert Selenskyj erneut an den Westen, die Ukraine stärker zu unterstützen, insbesondere durch eine Nato-Mitgliedschaft oder ähnliche Sicherheitsgarantien. Jens Stoltenberg, der künftige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, schloss in einem Interview sogar vorübergehende Gebietsabtretungen der Ukraine an Russland nicht aus, wenn diese mit Sicherheitsgarantien einhergingen.
Die Ungewissheit für die Ukraine wird zusätzlich durch den im Januar bevorstehenden Amtsantritt von Donald Trump verstärkt. Der designierte US-Präsident hat mehrfach deutlich gemacht, dass er den Milliardenhilfen für Kiew kritisch gegenübersteht, was die Ukraine noch stärker unter Druck setzt.
Während Scholz in Kiew Solidarität betonte, nutzte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ihren Besuch in China, um eine stärkere Rolle Pekings bei der Beendigung des Krieges zu fordern. Zugleich warf sie der chinesischen Regierung vor, Russlands Kriegsmaschinerie indirekt zu unterstützen.
Scholz’ Kiew-Besuch markiert einen weiteren Versuch, Deutschland als verlässlichen Partner der Ukraine zu präsentieren. Doch die wachsenden Spannungen – sowohl auf der internationalen Bühne als auch in Deutschland selbst – werfen die Frage auf, ob die Bundesregierung in ihrer Ukraine-Politik ausreichend geschlossen agiert und ob Scholz’ Strategie tatsächlich die gewünschte Wirkung zeigt.OZD / ©AFP
OZD-Kommentar:Zwischen Unterstützung und Symbolpolitik – Scholz bleibt der große Unentschlossene
Kanzler Olaf Scholz ist mit seiner Ukraine-Politik in einer gefährlichen Grauzone angekommen. Mit neuen Waffenlieferungen will er Handlungsstärke beweisen – doch die grundlegenden Probleme bleiben ungelöst. Sein Besuch in Kiew war mehr Symbol als Substanz.
Die Entscheidung, die Ukraine mit weiteren Rüstungsgütern im Wert von 650 Millionen Euro zu unterstützen, mag kurzfristig helfen, doch sie ersetzt keine klare Strategie. Scholz vermeidet nach wie vor jede Entscheidung, die über bloße Nothilfe hinausgeht. Die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern bleibt aus, und sein Telefonat mit Putin wird international als Zeichen der Schwäche interpretiert.
Dabei ist die Lage ernster denn je: Russland eskaliert den Krieg mit Hyperschallraketen, die USA unter einem Präsidenten Trump könnten ihre Unterstützung für Kiew drastisch kürzen, und die Ukraine steht vor einer weiteren schwierigen Kriegswinter-Saison. In diesem Umfeld ist Scholz’ Kurs des Lavierens nicht nur unzureichend, sondern gefährlich.
Deutschland braucht jetzt eine klare Haltung: entweder uneingeschränkte Unterstützung für die Ukraine oder die ehrliche Ansage, dass Berlin keine weiteren Risiken eingehen will. Das aktuelle Wischiwaschi schadet nicht nur der Glaubwürdigkeit der Bundesregierung, sondern gefährdet auch die Stabilität Europas. Scholz kann nicht länger versuchen, es allen recht zu machen – er muss endlich Entscheidungen treffen, die über kurzfristige Symbolik hinausgehen.
Biographien und ErklärungenWer ist Jens Stoltenberg?
Jens
Stoltenberg ist der ehemalige Generalsekretär der Nato und künftige
Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz. Er gilt als
einflussreicher Experte für Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Was ist die Hyperschallrakete Oreschnik?
Die
Oreschnik ist eine neuartige russische Hyperschallrakete, die sowohl
konventionell als auch mit Atomsprengköpfen bestückt werden kann. Sie
gilt als nahezu unaufhaltbar und wurde erstmals im Krieg gegen die
Ukraine eingesetzt.
Was sind Taurus-Marschflugkörper?
Taurus-Marschflugkörper
sind deutsche Langstreckenraketen mit hoher Zielgenauigkeit. Sie
könnten der Ukraine helfen, strategische Ziele tief im russischen
Hinterland zu treffen.
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