In Georgien reißen die Proteste gegen den angekündigten Aufschub der EU-Beitrittsverhandlungen nicht ab. Am Montagabend versammelten sich erneut tausende Demonstranten vor dem Parlament in der Hauptstadt Tiflis. Mit Fahnen Georgiens und der EU setzten sie ein klares Zeichen gegen die Russland-freundliche Regierung des Landes. Die Polizei reagierte mit Tränengas und Wasserwerfern, während Demonstranten Feuerwerkskörper auf die Sicherheitskräfte abfeuerten. Auch in der zweitgrößten Stadt Batumi kam es zu Protesten.
Regierungschef Irakli Kobachidse zeigte sich jedoch unnachgiebig: "Es wird keine Revolution geben und keine Verhandlungen mit der Opposition", betonte er am Montag. Kobachidse warf den Protestierenden vor, vom Ausland finanziert zu werden, und kritisierte westliche Staaten, die die Polizei wegen ihres harten Durchgreifens verurteilt hatten, jedoch die Gewalt der Demonstranten ignorierten.
Trotz dieser Aussagen versicherte Kobachidse, die Regierung strebe weiterhin eine europäische Integration an. Sein Versprechen, den EU-Beitritt "mit maximalem Einsatz" voranzutreiben, steht jedoch im Widerspruch zu den jüngsten Entwicklungen: Der Aufschub der Beitrittsverhandlungen bis 2028 hat die Massenproteste erst entfacht. Seit Beginn der Proteste am Donnerstagabend wurden nach Angaben des georgischen Innenministeriums mehr als 224 Demonstranten festgenommen.
Die in Opposition zur Regierung stehende Präsidentin Salome Surabischwili kritisierte das harte Vorgehen der Polizei scharf. In einer Stellungnahme warf sie den Behörden vor, Demonstranten "systematisch" zu misshandeln, und sprach von einer erschreckend hohen Zahl von Verletzungen durch Polizeigewalt.
Auch international wächst die Kritik. UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk zeigte sich besorgt über "unverhältnismäßige Gewalt gegen Demonstranten und Medienschaffende". Mehrere europäische Staaten, darunter Estland und Litauen, verhängten Sanktionen gegen georgische Regierungsmitarbeiter, denen sie Menschenrechtsverletzungen vorwerfen. In Berlin erklärte die Bundesregierung, sie stehe "an der Seite der Menschen in Georgien", die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen.
Die politische Lage in Georgien ist seit der umstrittenen Parlamentswahl im Oktober angespannt. Die Regierung unter der Moskau-freundlichen Partei Georgischer Traum wird von der Opposition beschuldigt, Wahlbetrug begangen und das Land zurück in die Abhängigkeit von Russland geführt zu haben. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow verteidigte hingegen das Vorgehen der georgischen Behörden und verglich die Proteste mit den pro-westlichen Bewegungen in der Ukraine.
Die Lage bleibt explosiv, und die tiefe Spaltung zwischen Regierung und Bevölkerung stellt eine ernsthafte Gefahr für die politische Stabilität Georgiens dar.
ozd / AFP
Ein Land zwischen Russland und Europa: Georgiens gefährlicher Balanceakt
Georgien steht an einem Scheideweg zwischen russischem Einfluss und europäischer Integration. Die jüngsten Proteste zeigen die Entschlossenheit vieler Georgier, sich gegen einen scheinbaren Rückschritt zu wehren. Doch die kompromisslose Haltung der Regierung und die Gewalt gegen Demonstranten werfen dunkle Schatten auf die Zukunft des Landes.
Der angekündigte Aufschub der EU-Beitrittsverhandlungen ist nicht nur ein Rückschlag für die europäische Perspektive Georgiens, sondern auch ein Symptom der wachsenden Nähe zur russischen Einflussnahme. Präsidentin Surabischwili und die Opposition werden in ihrer Kritik an der Regierung immer lauter, doch ohne Dialog droht das Land in Chaos zu versinken.
Die internationale Gemeinschaft hat ihre Haltung klar gemacht: Demokratische Werte und Menschenrechte müssen Vorrang haben. Doch Sanktionen allein werden den Machtkampf nicht lösen. Eine diplomatische Vermittlung könnte helfen, die Situation zu entschärfen, bevor die Lage weiter eskaliert.
In den kommenden Wochen dürften die Proteste anhalten, und eine härtere Repression der Regierung könnte das Risiko eines landesweiten Aufstands erhöhen. Sollte die EU ihre Unterstützung für die Protestbewegung deutlich verstärken, könnte dies den Druck auf die Regierung Kobachidse erhöhen. Allerdings bleibt auch die Gefahr bestehen, dass Georgien weiter in den Einflussbereich Russlands abdriftet.
Biographien und ErklärungenWer ist Irakli Kobachidse?
Irakli
Kobachidse ist der Vorsitzende der Regierungspartei Georgischer Traum
und seit 2021 Ministerpräsident von Georgien. Er gilt als Befürworter
enger Beziehungen zu Russland, steht aber zugleich offiziell hinter der
europäischen Integration des Landes.
Wikipedia-Seite zu Irakli Kobachidse
Wer ist Salome Surabischwili?
Salome
Surabischwili ist die amtierende Präsidentin Georgiens und steht in
Opposition zur aktuellen Regierung. Die frühere Außenministerin ist eine
Verfechterin der europäischen Integration Georgiens und hat wiederholt
die Russland-freundliche Politik der Regierungspartei kritisiert.
Wikipedia-Seite zu Salome Surabischwili
Was ist der Georgische Traum?
Georgischer
Traum ist eine politische Partei in Georgien, die 2012 gegründet wurde.
Sie steht für eine enge wirtschaftliche und politische Beziehung zu
Russland, obwohl sie offiziell den EU-Beitritt des Landes anstrebt.
Kritiker werfen der Partei vor, die Demokratie im Land zu gefährden.
Offizielle Webseite der Partei
Titelbild AFP / Alle Angaben ohne Gewähr.