Die FDP steht am Scheideweg: Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum hat seine Partei in einem Interview mit "Table.Media" scharf kritisiert. „Die FDP ist auf dem Weg zur Selbstzerstörung“, sagte der 92-Jährige und forderte einen Sonderparteitag vor Weihnachten, um einen überzeugenden Neuanfang zu organisieren. Baum stellt klar: Dieser Neuanfang könnte auch ohne Parteichef Christian Lindner erfolgen.
Hintergrund ist die Affäre um das sogenannte „D-Day“-Papier, in dem die FDP strategische Überlegungen zu einem Austritt aus der Ampel-Koalition festgehalten hatte. Das Dokument, das mit militärischen Begriffen wie „offene Feldschlacht“ versehen war, sorgte nicht nur für Empörung bei den ehemaligen Koalitionspartnern, sondern beschädigte auch das öffentliche Bild der FDP nachhaltig.
„Die Glaubwürdigkeit der Partei steht auf dem Spiel“, warnte Baum. Liberale Politik müsse Verantwortung für die gesamte Gesellschaft übernehmen, doch stattdessen habe sich die FDP auf die Schuldenbremse und den Haushalt verengt. Dies sei unverantwortlich. Besonders scharf formulierte Baum: „Eine Partei mit einem Prozent Sachkompetenz und vier Prozent Wähleranteil hat eine Koalition und ein ganzes Land in Geiselhaft genommen. Da stimmt keine Relation mehr.“
Die Enthüllungen um das „D-Day“-Papier führten bereits zu personellen Konsequenzen. Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann und Generalsekretär Bijan Djir-Sarai traten zurück. Reymann hatte in einer Vorstandssitzung eingeräumt, das Papier eigenständig und ohne Auftrag verfasst zu haben. Es sei lediglich eine Vorbereitung für den Fall eines Koalitionsbruchs gewesen. Gleichzeitig entschuldigte er sich für die unangemessene Wortwahl des Dokuments.
Ex-Schatzmeister Harald Christ, der die FDP aufgrund der Vorgänge verlassen hat, forderte unterdessen mehr Transparenz. „Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren, was wirklich passiert ist“, sagte er zu „Zeit Online“.
Baum hingegen sieht die Partei vor einer existenziellen Krise: „Wenn jetzt nicht gehandelt wird, werden wir verschwinden.“ Seine Kritik zeigt, dass die Affäre um das „D-Day“-Papier nicht nur personelle, sondern auch strukturelle Probleme der FDP offengelegt hat.
OZD / AFP
OZD-Kommentar
Zwischen D-Day und Untergang: Wohin steuert die FDP?
Die Affäre um das „D-Day“-Papier ist mehr als nur ein kommunikatives Fiasko. Sie legt eine strategische Orientierungslosigkeit der FDP offen, die weit über die aktuellen Probleme hinausgeht. Mit ihrer Fixierung auf Haushaltsthemen hat die Partei ihren Markenkern verwässert. Verantwortung für das Gemeinwohl? Fehlanzeige.
Gerhart Baums vernichtendes Urteil ist eine Ohrfeige, die sitzt. Die FDP, einst Hüterin von Freiheit und Verantwortung, steht nun als Partei da, die sich in internen Machtspielen verstrickt und inhaltlich ausgehöhlt ist. Mit gerade einmal drei bis vier Prozent Zustimmung in den Umfragen droht der FDP bei der nächsten Wahl ein Absturz, der die Partei dauerhaft in die Bedeutungslosigkeit katapultieren könnte.
Die Frage ist, ob Christian Lindner noch die richtige Person ist, um die Partei aus der Krise zu führen. Ein Sonderparteitag, wie von Baum gefordert, könnte die dringend benötigte Debatte ermöglichen. Doch ohne klare Inhalte und den Willen zur Transparenz wird auch das kaum reichen.
Prognose: Sollte die FDP nicht rasch handeln, droht der Partei ein Absturz bei der nächsten Bundestagswahl. Ein personeller Wechsel allein wird nicht genügen – die Partei muss sich inhaltlich neu erfinden, um ihre politische Relevanz zurückzugewinnen.
Biographien und Erklärungen
Wer ist Gerhart Baum?
Gerhart
Baum (*1922) ist ein ehemaliger FDP-Politiker und war von 1978 bis 1982
Bundesinnenminister. Er gilt als Vertreter eines sozialliberalen
Politikverständnisses und ist bekannt für sein Engagement für
Bürgerrechte und Datenschutz.
Wer ist Christian Lindner?
Christian
Lindner (*1979) ist seit 2013 Parteivorsitzender der FDP und seit 2021
Bundesfinanzminister. Er gilt als Architekt der liberalen
Neuausrichtung, steht jedoch zunehmend in der Kritik, die Partei zu sehr
auf Wirtschaftsthemen zu verengen.
Was ist das „D-Day“-Papier?
Das
„D-Day“-Papier ist ein internes Dokument der FDP, das Strategien für
einen Ausstieg aus der Ampel-Koalition beschreibt. Es wurde öffentlich,
nachdem Medien darüber berichteten, und sorgte wegen seiner
militärischen Sprache und der damit verbundenen Symbolik für einen
Skandal.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP