Am Donnerstag hat der Bundestag über die Einführung der sogenannten Widerspruchslösung bei Organspenden diskutiert. Diese Lösung, bei der jeder als potenzieller Organspender gilt, sofern er nicht zu Lebzeiten widersprochen hat, stößt in der deutschen Politik auf starke Kontroversen. Befürworter wie die SPD-Abgeordnete Sabine Dittmar sehen in diesem Schritt eine Möglichkeit, „todkranken Mitmenschen eine Überlebenschance“ zu bieten. Dittmar, die zu den Initiatorinnen des Gesetzentwurfs gehört, erklärte, dass die bisher in Deutschland geltende Entscheidungslösung gescheitert sei. Derzeit kann in Deutschland nur dann ein Organ entnommen werden, wenn der Verstorbene dies zu Lebzeiten eindeutig erlaubt hat, beispielsweise durch einen Organspendeausweis, oder wenn die Angehörigen zustimmen.
„Die Widerspruchslösung ist nötig, da in Deutschland mehr als 8500 Menschen auf der Warteliste für ein Organ stehen – das sind mehr als in jedem anderen EU-Land, und die Wartezeiten betragen im Schnitt acht Jahre“, argumentiert Dittmar. Sie weist darauf hin, dass in anderen europäischen Ländern wie Österreich und Spanien bereits solche Regelungen existieren, was die Debatte noch anheizte. „Es ist schwer nachzuvollziehen, warum es für Deutschland nicht zumutbar sein soll, eine ähnliche Regelung zu treffen“, fügt Dittmar hinzu.
Jedoch gibt es auch scharfe Gegenstimmen. Die FDP-Abgeordnete Kristine Lütke betonte, dass das „Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper über den Tod hinaus“ ein fundamentales Recht sei. Sie warnte davor, dass eine staatlich verpflichtende „Organbeschaffung“ dem nicht gerecht werde. Ihrer Ansicht nach müsse der Konsens bewahrt bleiben, dass „bloßes Schweigen keine Zustimmung ist“. Lütke argumentiert weiter, dass auch andere Möglichkeiten, wie die Förderung von Lebendspenden, noch nicht ausgeschöpft seien.
Gitta Connemann von der CDU unterstützt die Widerspruchslösung zwar als einen notwendigen Schritt, stellte jedoch klar, dass dies „kein Allheilmittel“ sei. „Ein Zwang zur Organspende darf es niemals geben“, betonte sie, jedoch könne es „zumutbar“ sein, sich zu entscheiden. Ihre Befürchtung ist, dass die Angehörigen ohne klare Entscheidung des Verstorbenen in eine schwierige Lage geraten und die Entscheidung später möglicherweise bereuen könnten.
Die Grünen-Abgeordnete Linda Heitmann äußerte ebenfalls Bedenken. Sie stellte fest, dass Menschen, die schwer erreichbar seien, in der Diskussion über die Widerspruchslösung oftmals vergessen würden. Diese Personen, die möglicherweise keinen Zugang zu ausreichender Information haben, könnten durch das System benachteiligt werden. Heitmann warnte davor, dass „Menschen ohne eine Erklärung zur Organspende sterben“ und ihre Haltung dann einfach angenommen werden könne.
Die hitzige Debatte erreichte einen Höhepunkt, als der AfD-Abgeordnete Martin Sichert die Widerspruchslösung mit der Diktatur des Nationalsozialismus verglich und Bundeskanzler Olaf Scholz als „Ersatz-Diktator“ bezeichnete. Diese Aussagen sorgten für empörte Reaktionen im Plenum.
Trotz der Bedenken von verschiedenen politischen Lagern gibt es keine einfache Lösung für das Problem des chronischen Organspendemangels in Deutschland. Das Gesetz sieht vor, dass die Widerspruchslösung frühestens 2027 in Kraft treten soll, um genug Zeit für Aufklärung und öffentliche Diskussion zu lassen.
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OZD-Kommentar:
Widerspruchslösung für Organspenden: Ein notwendiger Schritt oder ein ethisches Dilemma?
Die Einführung der Widerspruchslösung für Organspenden ist ein notwendiger, aber auch hochgradig umstrittener Schritt. Angesichts der dramatisch langen Wartezeiten auf Organe und der stetig wachsenden Zahl der Patienten auf den Wartelisten scheint die bisherige Lösung nicht mehr ausreichend. Doch der Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper bleibt ein heikles Thema, das ethische Bedenken aufwirft. Die Kritiker, insbesondere von der FDP und den Grünen, betonen zu Recht, dass eine solche Regelung den Konsens über die individuelle Entscheidungsfreiheit gefährden könnte. In den kommenden Wochen wird sich zeigen, ob die Widerspruchslösung die breite Unterstützung der Bevölkerung finden kann oder ob weitere Lösungen gefunden werden müssen, um den akuten Organspendemangel zu beheben.
Biographien und Erklärungen:
Wer ist Sabine Dittmar?
Sabine Dittmar ist eine SPD-Abgeordnete des Deutschen Bundestages und eine der Hauptinitiatorinnen des Gesetzentwurfs zur Widerspruchslösung für Organspenden. Als Ärztin setzt sie sich seit Jahren für eine Verbesserung der medizinischen Versorgung und der Organspenderegelungen in Deutschland ein. Weitere Informationen finden Sie auf der Website der SPD.
Wer ist Kristine Lütke?
Kristine Lütke ist eine FDP-Abgeordnete des Deutschen Bundestages und eine prominente Kritikerin der Widerspruchslösung. Sie ist bekannt für ihre Haltung zum Selbstbestimmungsrecht und der individuellen Freiheit. Weitere Informationen finden Sie auf der Website der FDP.
Was ist die Widerspruchslösung?
Die Widerspruchslösung ist ein System, bei dem jeder Mensch grundsätzlich als Organspender gilt, es sei denn, er hat zu Lebzeiten ausdrücklich widersprochen. Dieses Modell existiert bereits in mehreren europäischen Ländern, darunter Österreich und Spanien, und soll den Mangel an Spenderorganen bekämpfen. Weitere Informationen finden Sie auf der Wikipedia-Seite.
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