Sie wurden durch Bombardements der syrisch-russischen Streitkräfte getötet, von Scharfschützen der Regierung beschossen und in Gefängnissen gefoltert und ermordet: Seit 2011 haben der syrische Diktator Baschar al-Assad und seine Verbündeten 181 Journalistinnen und Journalisten getötet. Am 9. Dezember 2024, dem Tag, an dem die islamistische Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS) das Regime in Damaskus stürzte, saßen zudem 23 Medienschaffende hinter Gittern. Zehn weitere galten zu diesem Zeitpunkt als vermisst, darunter sieben, die vom Regime an unbekannte Orte verschleppt wurden. Reporter ohne Grenzen (RSF) begrüßt das Ende des Assad-Regimes, das unabhängigen Journalismus gewaltsam und systematisch unterdrückt hat, und fordert Gerechtigkeit für die getöteten, inhaftierten und verschwundenen Journalistinnen und Journalisten.
„Die Ermordung von 181 Journalistinnen und Journalisten darf nicht straflos bleiben“, sagt RSF-Geschäftsführerin Anja Osterhaus. „Baschar al-Assad und seine Verbündeten müssen für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden. Syriens künftige Führung fordern wir auf, für die Sicherheit von Medienschaffenden zu sorgen und unabhängigen Journalismus zu ermöglichen. Die gewaltsame Unterdrückung der Presse muss ein Ende haben.“
Insgesamt wurden in Syrien seit den friedlichen Protesten und ihrer brutalen Niederschlagung im Jahr 2011 283 Medienschaffende getötet. Verantwortlich dafür sind neben der syrischen und russischen Regierung auch die Terrorgruppe IS, der sogenannte Islamische Staat, die zwischen 2013 und 2017 22 Journalistinnen und Journalisten ermordete. Rebellengruppen wie die HTS sind für die Ermordung von 19 weiteren Journalistinnen und Reportern verantwortlich. Mehrere kurdische Medienschaffende wurden außerdem bei Luftangriffen in Nordsyrien getötet, zuletzt im August 2024 bei Angriffen, die kurdische Medien dem türkischen Militär zuschrieben. Bis heute ist es jedoch unmöglich, die Verantwortlichen für die Ermordung von 59 Journalistinnen und Journalisten zu ermitteln – immerhin ein Fünftel der 283 Medienschaffenden.
Nur wenige Tage vor dem Sturz des Regimes und der Flucht des Diktators versuchten die syrischen Streitkräfte, den Vormarsch der Rebellen aus Idlib auf die Hauptstadt Damaskus aufzuhalten. Zwei Reporter, die über die Zusammenstöße berichteten, wurden von der syrischen Armee getötet: Mustafa al-Kurdi, ein Journalist der lokalen Nachrichtenwebsite Focus Aleppo und Korrespondent des türkischen Senders TRT, und Anas Alkharboutli, ein Fotojournalist der Deutschen Presse-Agentur (dpa).
Zwei Journalisten sind wieder frei
Von den 33 inhaftierten und verschwundenen Journalistinnen und Journalisten ist die Mehrzahl vermutlich nicht mehr am Leben. Die syrischen Gefängnisse – vom berüchtigten Sednaja-Gefängnis, das von Überlebenden als „Hölle auf Erden“ beschrieben wird, bis hin zum Mezzeh-Gefängnis, das vom Geheimdienst der Luftwaffe kontrolliert wird – konnten nur wenige Medienschaffende lebend verlassen. Zeugen berichten, dass Journalistinnen und Journalisten gefoltert wurden, keine medizinische Versorgung erhielten und nach nur wenige Minuten dauernden Gerichtsverfahren heimlich hingerichtet wurden. Die systematische Ermordung, Misshandlung und Folter von Regierungskritikern, Oppositionspolitikerinnen und unliebsamen Journalisten war seit Jahrzehnten ein gängiges Mittel der Machtausübung von Baschar al-Assad und seinem Vater Hafez, der das Land von 1970 bis 2000 diktatorisch regierte.
HTS ermordete sechs Journalisten
Neben der Regierung trugen auch verschiedene Rebellengruppen und bewaffnete Einheiten zur Unterdrückung von Journalistinnen und Journalisten in den von ihnen kontrollierten Gebieten bei. Zwischen 2012 und 2019 soll die HTS sechs Medienschaffende ermordet haben. Der Anführer der Gruppe, Abu Mohammed al-Dschaulani, ist darüber hinaus für die Entführung von acht Journalistinnen und Journalisten verantwortlich. Zwei von ihnen wurden 2013 und 2015 von der dschihadistischen Gruppe al-Nusra, die von al-Dschaulani gegründet wurde, als Geiseln genommen. Im Jahr 2017 schloss sich al-Nusra mit anderen islamistischen Gruppen zur HTS zusammen und übernahm die Kontrolle über die Provinz Idlib. Dort entführte sie zwischen 2018 und 2021 sechs weitere syrische Journalistinnen und Journalisten.
RSF fordert die HTS auf, die Verantwortlichen in ihren Reihen zur Rechenschaft zu ziehen und alle noch im Land inhaftierten Journalistinnen und Journalisten freizulassen, auch diejenigen, die sie als Geiseln genommen haben.
Die Videos, die die Befreiung von Gefangenen nach dem Sturz von Machthaber Baschar al-Assad zeigen, haben neue Hoffnung geweckt. Zwei Journalisten sind seit dem 8. Dezember wieder in Freiheit: Hanin Gebran, die für Syria Media Monitor arbeitet und seit Juni 2024 inhaftiert war, und der Blogger Tal al-Malluhi, der seit 2009 im Gefängnis saß. Auch im Fall des verschwundenen US-Journalisten Austin Tice gibt es Grund zur Hoffnung. Hochrangige Quellen berichten, er sei noch am Leben. Tice wurde 2012 nahe Damaskus von Unbekannten entführt – laut der US-Regierung vom Assad-Regime.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Syrien auf Platz 179 von 180.