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Schwere Geburt im Großen Haus

Hunderte Schaulustige begutachten öffentliche Probe des postmodernen Klaumauks "Yolimba"

„Yolimba“, so erklärte uns der Dramaturg Ronny Scholz anfangs, sei ein falsches Anagramm für „Olympia“. Letztere entstammt Jacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“, die wie Yolimba eine Art mechanische Puppe ist, die man aber auch als Android oder künstliche Intelligenz, verstehen kann. Kreiert wurde sie von einem Wissenschaftler, der die Liebe hasst: Möhringer. „Es ist deine Pflicht, jeden zu töten, der das Wort ‚Liebe‘ spricht“, gibt ihr ihr Schöpfer mit auf den Weg. Erschaffen wurde sie durch unerklärliche Magie, die bei dem Stück ja an ihre Grenze stoßen soll. Sie selbst kann nur in der Tonhöhe a kommunizieren, also nur den Buchstaben A singen – aaaaaaaaaaberwitzig ist das.

Schnell entpuppt sich Yolimba als Massenmörderin, die mit ihren zwei Handfeuerwaffen an Lara Croft erinnert. Ihr erstes Opfer ist ein verheirateter Wissenschaftler, den sie so lange betörend umwirbt, bis er, sichtlich begeistert das Wort „Liebe“ äußert. Hier zeigt sich mir auch die größte Schwäche von Wilhelm Killmayers und Tankred Dorsts Werk, was 1964 in Wiesbaden uraufgeführt wurde: Kann das geäußerte Wort „Liebe“, überhaupt Liebe sein? Dieser Möhringer scheint jedenfalls ein ultrakonservativer Linguist zu sein, falls er annimmt, dass Worte Empfindungen wiedergeben – oder er versteht eben die Liebe nicht. Es ist nicht Liebe, die der ermordete Professor gespürt hat, sondern Wollust. Killmayers Pointe?

Auch der Regisseur Ulrich Peters sah noch Schwächen. Wenn auch nicht inhaltlich, dafür aber besonders mit der Bühnentechnik. „Eigentlich“, so versicherte er uns zum Schluss, „geht das Werk 85 Minuten“. Am gestrigen Abend ging es deutlich länger. Manchmal fehlte eine Requisite, häufiger jedoch wurden die Mauern, Säulen und der Drehkreis nicht richtig bedient. Das ging schon am Anfang los, als der Vorhang nicht hochgezogen wurde. Doch genau das machte den Abend ja so schön: das ist Theater.

Größere Probleme habe ich da mit dem Stück selbst. Uns wurde nicht die vollständige Version gezeigt, sondern lediglich eine Probe, die zweite öffentliche Probe des Theaters überhaupt, ohne Videos, die noch auf die Mauern projiziert werden und Musik. Letztere wurde von einem Klavier ersetzt. Die Musik des Stücks, was laut Scholz gleichzeig Oper, Operette und Musical sei, kam dennoch durch den guten Chor, samt Kinderchor, zur Geltung.

Das heißt also, eine Kritik am Stück kann noch nicht vollständig sein, da es selbst nicht vollständig war. Aber da wäre noch der Fensterputzer Herbert. Eine Figur, die man im fertigen Stück hoffentlich besser versteht. Er zieht die Frauen magisch an. Warum wissen wir nicht, jedenfalls zieht er auch Yolimba in seinen Bann. Diese droht ihn aber zu erschießen, doch der schlaue Herbert vermeidet das Schlüsselwort. Er meint damit sowieso nie seine Gefühle, sondern immer nur Plakate, deren Titel er nicht zu Ende vorliest, wie beispielsweise eine Werbung für die Aufführung Schillers „Kabale und…“. Ist das nun intelligenter Humor? Da er nicht in die Geschichte eingebettet ist, wohl eher nicht. Genauso wie der Tenor, mit dem wir eine Reise ins Mittelalter unternehmen, der „Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa-mor“ singt. Ja, Yolimba tötet Liebe in allen Sprachen.  

Und so endet das Stück, welches am 26. Oktober Premiere feiert und sechs Wochen bearbeitet wurde, mit der Liebe zwischen Yolimba, die nun sprechen kann und Herbert. Möhringer versteckt sich indes in der Mülltonne, um seiner Maschine aufzulauern. Er wird von der Müllabfuhr entsorgt. Damals soll das Stück, laut Scholz, vom Feuilleton zerrissen worden sein. Heute aber sei es en vogue und zeitgemäß. Da bin ich mir nicht so sicher. Gerade heute nämlich ist der Zuschauer/ die Zuschauerin komplexe narrative Zusammenhänge gewohnt.

Denn wie besagt schon das Prinzip von Tschechows Gewehr: „Falls du im ersten Akt eine Pistole an der Wand hängen hast, dann sieh zu, dass sie im nächsten Akt abgefeuert wird. Andererseits sollte sie nicht dort hängen“. Aber „Yolimba“ ist eben postmoderner Klamauk. Sie wird in einer Kiste zum Professor gebracht und Möhringer stirbt in einer Mülltonne. Da hat nichts mit nichts zu tun.

   

Foto: pixabay; Stadt Münster