In Österreich haben die langwierigen Koalitionsgespräche ein unerwartetes Ende gefunden: Nach der gescheiterten Einigung zwischen der konservativen ÖVP und der sozialdemokratischen SPÖ hat Bundeskanzler Karl Nehammer seinen Rücktritt angekündigt. In einem Video auf der Plattform X erklärte Nehammer, dass er sich sowohl als Kanzler als auch als Parteiobmann der ÖVP zurückziehen werde, um einen „geordneten Übergang“ zu ermöglichen.
Die Gespräche waren zunächst von einem Dreierbündnis zwischen der ÖVP, der SPÖ und den liberalen Neos geprägt. Doch am Freitag zogen die Neos ihre Teilnahme zurück und begründeten dies mit der mangelnden Reformbereitschaft der beiden großen Parteien. Daraufhin versuchten ÖVP und SPÖ, ohne die Neos weiter zu verhandeln, doch auch diese Verhandlungen scheiterten.
„Wir haben lange und redlich verhandelt“, so Nehammer, „doch in wesentlichen Punkten konnten wir uns mit der SPÖ nicht einigen.“ Die ÖVP sei weiterhin gegen jegliche Maßnahmen, die die Wirtschaft belasten oder zu neuen Steuern führen könnten. Die ÖVP zog daraufhin ihre Unterstützung für eine Koalition mit der SPÖ zurück.
Das politische Klima in Österreich bleibt angespannt. Nach der Parlamentswahl am 29. September, bei der die rechtspopulistische FPÖ mit 28,85 Prozent als stärkste Partei hervorging, kämpft das Land mit einer schwächelnden Wirtschaft und einem hohen Haushaltsdefizit. Der FPÖ-Chef Herbert Kickl hatte ambitioniert versucht, die Regierungsführung zu übernehmen, aber keine Partei wollte mit ihm koalieren.
Für Nehammer war es eine schwierige Zeit: Als Bundeskanzler und zuvor als Innenminister hatte er stets betont, die politische Mitte zu vertreten und gegen radikale Kräfte wie die FPÖ anzugehen. Doch trotz seines Engagements musste er nun eingestehen, dass eine Koalition nicht möglich war.
SPÖ-Chef Andreas Babler äußerte sich zu den gescheiterten Gesprächen und warf der ÖVP vor, von Anfang an den rechten Flügel zu bevorzugen, der eine Zusammenarbeit mit der FPÖ suchte. Babler warnte davor, dass Österreich „einen rechtsextremen Kanzler“ bekommen könnte, falls sich eine Blau-Schwarze Koalition durchsetze.
Auch die Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger kritisierte die Unfähigkeit von ÖVP und SPÖ, über ihre Differenzen hinwegzukommen. Der politische Stillstand und die gescheiterten Verhandlungen könnten das Land in eine noch schwierigere Lage bringen.
Mit dem Rücktritt von Nehammer steht Österreich vor einer unklaren Zukunft: Wenn es keine Einigung zwischen den Parteien gibt, könnten Neuwahlen anstehen. Inzwischen steigt die Unterstützung für die FPÖ weiter an, und laut aktuellen Umfragen könnte die Partei bald bei 35 Prozent liegen.
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OZD-Kommentar:
Der Rücktritt von Nehammer – Was kommt jetzt für Österreich?
Der Rücktritt von Karl Nehammer nach den gescheiterten Koalitionsgesprächen stellt einen entscheidenden Wendepunkt in der österreichischen Politik dar. Es ist ein klares Signal für das Scheitern des politischen Systems, das versucht, sich immer wieder aus einer verfahrenen Lage zu befreien. Nehammer hat in den letzten Jahren als Kanzler versucht, einen Mittelweg zu finden, doch der politische Druck der unterschiedlichen Kräfte hat ihn letztlich zu diesem Schritt gezwungen.
Doch was passiert nun? Wird die ÖVP, ohne ihre starke Figur an der Spitze, weiterhin als starke politische Kraft agieren können? Und wie wird die FPÖ, die sich immer mehr als größte Partei etabliert, auf die politische Krise reagieren? Der Weg zu einer stabilen Regierung scheint zunehmend verschlossen, und es drohen Neuwahlen, die die politische Landschaft Österreichs weiter erschüttern könnten.
Prognose: In den nächsten Wochen könnten die politischen Turbulenzen in Österreich zunehmen. Sollte es zu Neuwahlen kommen, könnte die FPÖ noch stärker hervortreten und mit einer Regierungsbildung ernst machen. Österreich steht an einem entscheidenden Punkt, an dem die politische Mitte sich entweder wieder durchsetzt oder die extremen Flügel weiter an Einfluss gewinnen.
Biographien und Erklärungen:
Wer ist Karl Nehammer?
Karl Nehammer ist ein österreichischer Politiker, der seit 2020 als Bundeskanzler von Österreich tätig war. Er ist Mitglied der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und diente zuvor als Innenminister. Nehammer hat während seiner politischen Karriere eine harte Haltung gegenüber Migration und Kriminalität vertreten und war maßgeblich an der Steuerung der österreichischen Innenpolitik beteiligt. Er wurde in einem Video am 5. Januar 2025 zum Rücktritt als Kanzler und Parteiobmann der ÖVP bekannt.
Wer ist Herbert Kickl?
Herbert Kickl ist ein österreichischer Politiker und Vorsitzender der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ). Kickl war von 2017 bis 2018 Innenminister und ist bekannt für seine ablehnende Haltung gegenüber der Migration sowie für seine kritische Position gegenüber der Europäischen Union. Während der letzten Parlamentswahl war er einer der führenden Kandidaten für das Kanzleramt und strebte eine Zusammenarbeit mit der ÖVP an, was jedoch nicht zustande kam.
Was ist die ÖVP?
Die Österreichische Volkspartei (ÖVP) ist eine konservative politische Partei, die traditionell als die älteste und eine der stärksten politischen Kräfte in Österreich gilt. Sie hat regelmäßig Koalitionen gebildet, sowohl mit der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) als auch mit der FPÖ. Die ÖVP ist Mitglied der Europäischen Volkspartei und hat eine strikte Haltung in Fragen der nationalen Sicherheit und Wirtschaftspolitik.
Was ist die FPÖ?
Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) ist eine rechtspopulistische politische Partei, die in den letzten Jahren durch ihre starke Haltung gegen Migration und ihre Europakritik an Einfluss gewonnen hat. Sie war mehrfach in Koalitionen mit der ÖVP vertreten und hat sich immer wieder gegen die etablierte politische Mitte gestellt.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP