Berlin – Trotzdem wird sich das Parlament am 29. Januar im Rahmen einer Expertenanhörung mit dem fraktionsübergreifenden Entwurf einer Änderung des Transplantationsgesetzes befassen.
Mit dem Antrag wollen die Abgeordneten der fraktionsübergreifenden Gruppe eine Widerspruchsregelung bei der Organspende einführen. Die Zahl der Organspender reiche nicht aus, um den Bedarf an Spenderorganen zu decken, heißt es zur Begründung.
Auch wenn der Gesetzentwurf vom alten Bundestag nicht mehr beschlossen wird und aufgrund des Diskontinuitätsprinzips nach den Wahlen neu eingebracht und verhandelt werden muss, hält die Ärztin und Bundestagsabgeordnete Tina Rudolph (SPD) es „für richtig und wichtig", dass die Anhörung zum Thema Organspende noch Ende Januar stattfindet. „Seit der letzten Anhörung im Jahr 2019 sind mehr als fünf Jahre vergangen und es ist höchste Zeit, das Thema wieder fundiert in den Mittelpunkt zu rücken“, sagte sie heute dem Deutschen Ärzteblatt.
„Die Inhalte der damaligen Gesetzgebung sind umgesetzt worden, ohne dass sich die Zahl der Organspenden deutlich erhöht hat“, so Rudolph, die zu den Initiatorinnen des interfraktionellen Antrags gehört. „Unseren Gesetzentwurf für eine Widerspruchsregelung haben wir im Vergleich zum damaligen bereits weiterentwickelt und einige Kritikpunkte aufgenommen. Um dies weiter voranzubringen, ist die Anhörung ein wichtiger Schritt."
Zudem hofften viele Betroffene nach wie vor auf eine Änderung des Transplantationsgesetzes in Richtung einer Widerspruchsregelung und darauf, dass es irgendwie vorwärts gehe. „Die inhaltliche Arbeit muss deshalb auch jetzt Priorität haben“, betonte sie.
Der Medizinische Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), Axel Rahmel, bedauert, dass die Initiative zur Einführung der Widerspruchsregelung in Deutschland durch die Neuwahlen in dieser Legislaturperiode offensichtlich nicht weiterverfolgt wird.
Besonders wichtig ist ihm zu betonen, dass auch bei der Widerspruchsregelung die Autonomie eines jeden gewahrt bleibt: „Selbstverständlich wird auch bei der Widerspruchsregelung der Wille der Verstorbenen berücksichtigt, und es bleibt daher auch und gerade bei einer möglichen Widerspruchsregelung wichtig, seinen Willen zur Organspende zu dokumentieren“, sagte er.
Gleichzeitig stellt Rahmel erneut klar, dass die Einführung einer Widerspruchsregelung nicht die eine „magische Maßnahme“ sei, die zu einem sprunghaften Anstieg der Organspendezahlen führen werde. Möglich sei das nur im Zusammenspiel mit anderen strukturellen Veränderungen.
Die Einführung einer Widerspruchsregelung rücke allerdings das Thema Organspende in das Bewusstsein der Bevölkerung und gebe ein klares Signal, dass Gesellschaft und Politik hinter der Organspende stünden. Dies fördere eine Kultur der Organspende, wie die Erfahrungen in anderen Ländern zeigten.
„Die Lage der Patientinnen und Patienten, die dringend auf eine Organspende warten, bleibt dramatisch“, erklärte Rahmel. Es sei eine unerträgliche Situation, dass man zwar die medizinischen Möglichkeiten hätte, Leben zu retten, aber die Organe dafür fehlten.
Im vergangenen Jahr haben nach Angaben der DSO 953 Menschen nach ihrem Tod Organe für die Transplantation gespendet, 2023 waren es 965. Mit 11,4 Spenderinnen und Spendern pro Million Einwohner nimmt Deutschland somit im internationalen Vergleich auch 2024 einen der hinteren Plätze ein.
Die Summe der in Deutschland postmortal entnommenen Organe, die über die internationale Vermittlungsstelle Eurotransplant nach festgelegten medizinischen Kriterien verteilt und schließlich hierzulande oder im Ausland transplantiert werden konnten, lag bei 2.854 (2023: 2.877).
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Die Zahl der organspendebezogenen Kontakte ist im vergangenen Jahr nur leicht von 3.422 auf 3.480 gestiegen. Dies seien die Fälle, in denen sich die Kliniken an die DSO gewendet hätten, um über eine mögliche Organspende zu sprechen.
In den 43 deutschen Transplantationszentren seien im vergangenen Jahr 3.013 Organe nach postmortaler Spende aus Deutschland und dem Eurotransplant-Verbund übertragen worden (2023: 2.986).
Damit sei bundesweit 2.902 schwer kranken Patientinnen und Patienten durch ein oder mehrere Organe eine bessere Lebensqualität oder sogar ein Weiterleben geschenkt worden (2023: 2.866), so die DSO. Gleichzeitig stünden in Deutschland 8.260 Menschen auf den Wartelisten für eine Organübertragung.
„Den Organspendern und ihren Familien gebührt großer Dank und Anerkennung für ihre Bereitschaft, anderen Menschen mit einer Organspende zu helfen“, würdigt Rahmel alle Anstrengungen.
Gleichzeitig appelliert er an Ärztinnen, Ärzte und Pflegefachkräfte in den Kliniken, an die Organspende zu denken: „Der erste und entscheidende Schritt im Prozess einer Organspende ist die zuverlässige Erkennung möglicher Organspender auf den Intensivstationen.“
Hierzu leisteten viele Transplantationsbeauftragte und weitere ärztliche und pflegerische Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern eine engagierte Arbeit mit großer Kompetenz.
„Damit aber bei einem möglichen Organspender am Lebensende der Wunsch für oder gegen eine Organspende umgesetzt werden kann, muss dieser Wunsch bekannt sein“, unterstreicht der Medizinische Vorstand. Nur bei 15,3 Prozent der möglichen Organspender sei 2024 jedoch ein schriftlicher Wille vorhanden gewesen.
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