Berlin – Zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen haben in einem offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vor einem verfrühten bundesweiten Roll-out der elektronischen Patientenakte (ePA) gewarnt. Unter den Unterzeichnern befinden sich unter anderem der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV), die Deutsche Aidshilfe, die Deutsche Alzheimer Gesellschaft, die BAG Selbsthilfe sowie der Chaos Computer Club (CCC).
Die ePA soll morgen in einigen Modellregionen in eine Erprobungsphase starten. Sollte diese erfolgreich verlaufen, könnte der bundesweite Roll-out Mitte Februar beginnen. Doch viele Organisationen äußern Bedenken hinsichtlich der Sicherheit der ePA. Winfried Holz, Vorstand der Deutschen Aidshilfe, erklärt: „Die ePA enthält äußerst sensible Daten. Das System darf nicht bundesweit an den Start gehen, bevor Sicherheitslücken geschlossen und Bedenken ausgeräumt sind.“
Im offenen Brief wird auch betont, wie wichtig es ist, die Expertise zivilgesellschaftlicher Organisationen stärker in die Entwicklung der ePA einzubeziehen, um bestehende Lücken zu schließen. Diese Zusammenarbeit könnte helfen, Vertrauen in das digitale System zu stärken und seine Akzeptanz zu fördern.
Die Organisationen fordern zudem eine substanzielle Einbeziehung von Patienten, Ärzten und digitalen Experten bei der Bewertung des Starts der ePA in den Modellregionen. „Es braucht ein echtes Mitspracherecht, nicht nur ein bloßes Rederecht“, heißt es im Brief. Ein bundesweiter Start sollte nur erfolgen, wenn die Erfahrungen aus den Modellregionen gemeinsam und positiv bewertet wurden.
Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Digitalwirtschaftsverbandes Bitkom, sieht die ePA als eine Chance zur Verbesserung der Behandlungsprozesse und zur Reduzierung von Bürokratie. Doch auch er betont die Bedeutung von Aufklärung und Vertrauen. Praxen und Kliniken sollten aktiv auf die ePA hinweisen und ihren Patienten die Vorteile nahebringen.
Die Verbraucherzentralen raten dazu, sich frühzeitig mit der elektronischen Patientenakte auseinanderzusetzen und eine bewusste Entscheidung zu treffen. Jochen Sunken von der Verbraucherzentrale Hamburg betont: „Wer die ePA aktiv pflegt, hat die beste Kontrolle darüber, welche Daten er teilt.“
Die ePA wird zunächst in Hamburg, Franken und Teilen Nordrhein-Westfalens getestet. Nach einer erfolgreichen Erprobungsphase soll der bundesweite Roll-out starten – frühestens jedoch in vier Wochen, so das Bundesgesundheitsministerium. Bis dahin müssen etwaige Sicherheitslücken geschlossen und technische Probleme behoben werden.
Auch der Chaos Computer Club (CCC) äußert starke Bedenken. Der Sprecher des CCC, Calvin Baus, erklärt: „Die ePA in ihrem aktuellen Zustand auszurollen, ist angesichts ihrer besorgniserregenden Sicherheitsprobleme eine falsche Entscheidung.“
OZD / Deutsches Ärzteblatt
OZD-Kommentar:
Zukunft der ePA – ein Balanceakt zwischen Innovation und Sicherheit
Der Druck, die elektronische Patientenakte bundesweit einzuführen, wächst. Doch die besorgniserregenden Warnungen aus der zivilgesellschaftlichen Ecke sollten nicht einfach überhört werden. Das Vertrauen in digitale Gesundheitslösungen lässt sich nicht durch schnelle Entscheidungen erzwingen – es muss durch Sicherheit und transparente Kommunikation wachsen. Gerade in einem Bereich, der so sensible Daten betrifft, ist eine gründliche Prüfung und die Beseitigung aller Sicherheitsrisiken unerlässlich.
Was passiert nun in den nächsten Wochen? Wird der Start der ePA durch die Testregionen zeigen, ob das System den hohen Anforderungen gerecht wird, oder müssen weitere Anpassungen vorgenommen werden? Die Bedenken der zivilgesellschaftlichen Organisationen sind nicht unbegründet, und es könnte noch ein langer Weg werden, bis die ePA flächendeckend eingeführt wird.
Biographien und Erklärungen:
Wer ist Winfried Holz?
Winfried Holz ist ein führendes Mitglied der Deutschen Aidshilfe, einer wichtigen Organisation in Deutschland, die sich der Unterstützung von Menschen mit HIV/AIDS und der Förderung der Aufklärung über die Krankheit widmet. Holz hat eine lange Geschichte im Bereich der sozialen Arbeit und der Gesundheitsförderung und spielt eine zentrale Rolle in der Entwicklung von Projekten zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung und der Lebensqualität von Betroffenen.
Wer ist Bernhard Rohleder?
Bernhard Rohleder ist der Hauptgeschäftsführer des Digitalwirtschaftsverbandes Bitkom, eines der größten Netzwerke der digitalen Wirtschaft in Deutschland. Rohleder ist ein Experte für Digitalisierung und hat sich als starker Verfechter für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung und der Gesundheitssysteme in Deutschland positioniert. Bitkom setzt sich für die Förderung von Innovationen in der digitalen Branche und für eine zukunftsfähige digitale Infrastruktur ein.
Was ist die Deutsche Aidshilfe?
Die Deutsche Aidshilfe ist eine der größten und ältesten Organisationen in Deutschland, die sich der Unterstützung von Menschen mit HIV und AIDS widmet. Sie setzt sich für Aufklärung, Prävention und den Abbau von Stigmatisierung ein und bietet Beratungsdienste für Betroffene und ihre Angehörigen. Die Organisation ist auch in der politischen Arbeit aktiv und fordert verbesserte Gesundheits- und Sozialpolitik für Menschen mit HIV/AIDS.
Was ist der Chaos Computer Club (CCC)?
Der Chaos Computer Club (CCC) ist eine der ältesten und bekanntesten Hacktivisten-Gruppen in Deutschland. Gegründet 1981, setzt sich der CCC für digitale Bürgerrechte, die Wahrung der Privatsphäre und die Förderung eines verantwortungsvollen Umgangs mit Technologie ein. Der Club ist bekannt für seine kritische Haltung gegenüber staatlichen Überwachungsmaßnahmen und für seine Expertise im Bereich der IT-Sicherheit.
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Titelbild: picture alliance, CHROMORANGE, Christian Ohde