Nach dem Amtsantritt von Donald Trump als Präsident der USA hat der polnische Regierungschef Donald Tusk die Europäer zu einem Kurswechsel in der Verteidigungspolitik aufgerufen. In einer deutlichen Ansprache vor dem Europaparlament in Straßburg am Mittwoch machte Tusk klar, dass Europa nicht länger auf die USA angewiesen sein dürfe, wenn es um seine eigene Sicherheit gehe. „Wenn Europa überleben will, muss es sich bewaffnen“, sagte Tusk.
Der ehemalige Präsident des Europäischen Rates rief die EU-Staaten dazu auf, die US-Forderung nach höheren Verteidigungsausgaben nicht als leeren Druck, sondern als Chance zur Stärkung der eigenen Sicherheit zu verstehen. Tusk zitierte das berühmte Zitat des ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, frage, was du für dein Land tun kannst.“ Europa müsse sich fragen, wie es selbst für seine Sicherheit sorgen könne.
Donald Trump hatte bereits wiederholt betont, dass NATO-Mitglieder ihre Verteidigungsausgaben auf mindestens fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigern sollten, und drohte mit einem Ende des Beistandspakts, sollten diese Forderungen nicht erfüllt werden. Polen beispielsweise gibt mehr als vier Prozent seines BIP für Verteidigung aus und gehört damit zu den Vorreitern in der EU.
Doch Tusk war nicht nur auf das Thema Verteidigung fokussiert. Er betonte auch die Notwendigkeit für Europa, ein stärkeres Selbstbewusstsein zu entwickeln. „Wir sind eine Weltmacht, aber wir müssen auch daran glauben“, erklärte er. Um als Wirtschaftsmacht weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben, müsse die EU ihre Bürokratie abbauen und aufhören, von russischen Energielieferungen abhängig zu sein.
Er sprach sich zudem für ein stärkeres Augenmerk auf den Schutz der Außengrenzen der EU aus, um das Vertrauen der Bürger zu wahren. Seine Rede schloss Tusk mit einem Zitat des polnischen Papstes Johannes Paul II.: „Habt keine Angst“. Er appellierte an die Europäer, die Zukunft des Kontinents in die eigenen Hände zu nehmen und nicht an andere Mächte wie China, Russland oder die USA zu delegieren.
Im Rahmen der polnischen Ratspräsidentschaft der EU, die derzeit unter dem Motto „Sicherheit, Europa!“ läuft, betonte Tusk erneut die Bedeutung einer eigenständigen Sicherheitsstrategie für die EU.
OZD/AFP
OZD-Kommentar:
Europas Sicherheitsarchitektur auf dem Prüfstand
Donald Tusks Rede stellt einen klaren Appell an Europa dar, sich nicht länger als bloßer Partner der USA zu verstehen, sondern als unabhängige, starke Macht in der Weltpolitik. Die Forderung nach einer deutlich höheren Verteidigungsausgabe, wie sie von Donald Trump formuliert wird, ist eine Herausforderung für die EU, die sich in den letzten Jahren vor allem auf die transatlantische Partnerschaft verlassen hat.
Doch Tusks Botschaft geht über das rein Militärische hinaus. Es geht um das Selbstverständnis Europas als Akteur in einer Welt, in der geopolitische Spannungen zunehmen. Die Frage, wie Europa sich gegenüber den USA, Russland und China positioniert, wird immer relevanter. Eine stärkere europäische Unabhängigkeit in sicherheitspolitischen Fragen könnte zu einem veränderten Verhältnis zu den USA führen, aber auch zu einer engeren Zusammenarbeit innerhalb der EU selbst.
Prognose:
In den kommenden Wochen könnte sich zeigen, wie ernst die EU-Mitgliedstaaten Tusks Aufruf nehmen. Vor allem im Hinblick auf die Verteidigungsausgaben und die gemeinsame Außenpolitik der Union werden entscheidende Gespräche stattfinden. Es bleibt abzuwarten, ob die EU bereit ist, ihren Verteidigungsbeitrag erheblich zu steigern und ihre Sicherheitsstrategien eigenständiger zu gestalten.
Biographien und Erklärungen:
Wer ist Donald Tusk?
Donald Tusk ist ein polnischer Politiker, der von 2014 bis 2019 Präsident des Europäischen Rates war. Vor seiner Zeit in Brüssel war er von 2007 bis 2014 Premierminister von Polen und führte das Land durch eine wirtschaftliche und politische Stabilisierung. Er ist Mitglied der Bürgerplattform (PO), einer liberal-konservativen Partei. Tusk ist bekannt für seine pro-europäische Haltung und spielte eine zentrale Rolle in der EU während der Flüchtlingskrise und der Brexit-Verhandlungen. Aktuell ist er Vorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP). Weitere Informationen über Tusk sind auf seiner Wikipedia-Seite zu finden.
Was ist der Europäische Rat?
Der Europäische Rat ist eine der wichtigsten Institutionen der Europäischen Union und setzt sich aus den Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten sowie dem Präsidenten der Europäischen Kommission zusammen. Er gibt die politische Richtung der EU vor und ist für strategische Entscheidungen zuständig. Der Präsident des Europäischen Rates wird alle zwei Jahre gewählt und koordiniert die Arbeit des Rates.
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