Das Bild zu diesem Beitrag drückt es gut aus: seit den Lockerungen scheint jeder und jede seine oder ihre Meinung in die Öffentlichkeit hinausposaunen zu wollen. Qualifiziert oder nicht. Nun bin ich ein Demokrat durch und durch und finde es gut, dass wir vielstimmig sind und sein dürfen. Jetzt aber ist eine Situation entstanden, in der mir Deutschland wie eine einzige zerfaserte Talkshow vorkommt. Ministerpräsidenten, Politik- und Kulturwissenschaftler, Soziologen, Ökonomen, Familienbeauftragte, vom mainstream abweichende Virologen oder Bürger und Bürgerinnen von nebenan - sie alle haben eine endlos erscheinende Kakophonie erschaffen, befeuert noch durch die sozialen Medien. Ja, wir sind ein föderaler Staat, doch ich habe mich in den letzten Tagen dabei erwischt, mir eine zentralistische Ordnung wie in Frankreich zu wünschen.
Was ich gut verstehe, ist, dass Unternehmen, die Gastronomie, die Hotels, die Touristikindustrie und viele andere im Sektor der Ökonomie stehende Institutionen wieder arbeiten wollen, weil sie vor einem finanziellen Abgrund stehen. Ich verstehe auch die Sorge um die Kinder, Schüler und Studierenden, um Alleinerziehende, um die Situation sozial schwacher Familien. Das sind nur einige Beispiele.
Was ich gänzlich nicht verstehe, ist das Gejammer über die Unsicherheit, ob man dieses Jahr überhaupt wohl Urlaub im Ausland machen kann. Wann man denn wieder in ein Flugzeug nach Mallorca steigen kann. Schon die lächelnden Touristen, die in Ländern wie Tunesien oder in der Türkei angesichts von dortigen Terror- und Unrechtssituationen vor der Kamera erklärten, sie würden ja nur die Wirtschaft des jeweiligen Landes stützen wollen, waren mir höchst suspekt. Im Grunde ging es Ihnen nur um sich selbst und „ihren“ Urlaub. Wir können dieses Jahr endlich einmal Deutschland im Sommer und im Herbst entdecken. Wie wäre es damit mal zur Abwechslung?
Ich verstehe auch nicht, warum man als Mann oder Frau von nebenan es nun langsam als Entzug der Grundrechte versteht, dass wir (noch) nicht wieder alle und überall locker und unbeschwert unseren Cappucino im Café trinken oder die Pasta beim Italiener essen können. Auch das Klagen vieler Schüler und Schülerinnen über die Langeweile und fehlende Abwechslung ist für mich eine Wohlstandsklage auf hohem Niveau. Das Geraune über die Lästigkeit und Nutzlosigkeit von Gesichtsmasken geht mir ebenso nur auf den Wecker. Wir haben gerade die 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begangen. Seitdem gibt es in Europa zumeist Frieden und Wohlstand. Erst kürzlich habe ich die hervorragende arte-Dokumentation über die letzten Tage im Berlin von 1945 gesehen. Hier hatten die Menschen allen Grund zu leiden. Diese Doku würde ich übrigens allen Nörglern empfehlen.
Schließlich unsere Ministerpräsidenten und
Ministerpräsidentinnen, obwohl sich hier wieder meist Männer hervortun. Ich
finde es schwer erträglich, dass jetzt die Länderchefs wie ein gackernder
Hühnerhaufen ihre parteipolitischen Süppchen kochen oder versteckte Kanzlerkür
(Laschet, Söder) betreiben. Reißt euch zusammen, bisher hatten wir es doch
alles gut hinbekommen. Ich möchte nicht eine zweite Coronawelle erleben.
Bernd Rasche