EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat umfassende Maßnahmen zum Abbau bürokratischer Hürden für Unternehmen angekündigt. „Europa muss seinen Innovationsmotor neu starten“, erklärte sie am Mittwoch bei der Vorstellung ihrer Leitlinien für die kommenden Jahre. Die geplanten Änderungen sollen europäische Firmen gegenüber Konkurrenten aus den USA und China wettbewerbsfähiger machen.
Ein zentraler Punkt ist die Neudefinition von Unternehmen: Tausende Firmen sollen nicht mehr als große Unternehmen eingestuft werden, sondern in eine neue Kategorie fallen, die den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) ähnelt. Dies würde für sie weniger strenge Regulierungen bedeuten.
Zudem kündigte von der Leyen an, bestehende Gesetze aus ihrer letzten Amtszeit zu überarbeiten. Betroffen sein könnten das europäische Lieferkettengesetz sowie Regeln für nachhaltige Investitionen und Finanzprodukte. Diese sollen in den kommenden Monaten auf mögliche Vereinfachungen hin überprüft werden.
Ein weiteres Ziel ist die Vereinheitlichung von Unternehmensregeln innerhalb der EU. Steuerrecht, Arbeitsgesetze und Insolvenzbestimmungen sollen nicht mehr von 27 unterschiedlichen nationalen Regelungen abhängen. Allerdings bleibt dieser Plan politisch brisant: Eine Angleichung im Steuerrecht wird unter den EU-Staaten bereits seit über einem Jahrzehnt diskutiert – bislang ohne Einigung.
Neben der Reduzierung bürokratischer Auflagen plant die EU-Kommission weitere Maßnahmen zur Stärkung der europäischen Wirtschaft:
Investitionen in Netzausbau und langfristige Stromverträge, um hohe Energiepreise für die Industrie zu senkenFörderung von Zukunftstechnologien wie Halbleitern und Künstlicher IntelligenzLockerung von Beihilferegeln zur Unterstützung einer grünen IndustrieBeschleunigung der Genehmigungsverfahren für erneuerbare EnergienBevorzugung europäischer Unternehmen bei öffentlichen Ausschreibungen
Letzteres ist eine direkte Reaktion auf das Vorgehen Chinas: Peking soll chinesischen Produkten bei Krankenhaus-Ausschreibungen gezielt Vorteile verschafft und europäische Anbieter benachteiligt haben. Brüssel sieht darin einen Verstoß gegen die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) und prüft Gegenmaßnahmen. Diese sollen sich jedoch im Rahmen der WTO-Vorgaben bewegen.
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OZD-Kommentar:
Weniger Bürokratie – aber für wen?
Die Pläne von der Leyens klingen nach einem Befreiungsschlag für europäische Unternehmen. Weniger Bürokratie, vereinfachte Regeln und stärkere Förderung für Zukunftstechnologien – das sind Maßnahmen, die die europäische Wirtschaft dringend benötigt. Doch die entscheidende Frage bleibt: Wer profitiert am Ende wirklich?
Während große Unternehmen von weniger Vorschriften profitieren könnten, bleibt offen, ob kleine und mittlere Unternehmen (KMU) tatsächlich entlastet werden. Denn oft sind es nicht nur EU-Vorschriften, sondern auch nationale Gesetze, die den Mittelstand belasten.
Ein weiteres Problem: Die geplante Steuer- und Arbeitsrechtsangleichung innerhalb der EU wird politisch schwer durchzusetzen sein. Viele Mitgliedstaaten scheuen Veränderungen, insbesondere wenn es um nationale Steuerregelungen geht.
In den nächsten Wochen wird sich zeigen, wie viel von der Leyens Reformplänen tatsächlich umgesetzt werden kann. Besonders heikel bleibt die Frage der Wettbewerbsmaßnahmen gegen China. Sollte die EU hier mit Handelsbarrieren oder Subventionen reagieren, könnte ein Handelskonflikt mit Peking eskalieren.
Biographien und Erklärungen:
Wer ist Ursula von der Leyen?
Ursula von der Leyen ist seit 2019 Präsidentin der Europäischen Kommission und damit eine der einflussreichsten Politikerinnen der EU. Zuvor war sie Verteidigungsministerin in Deutschland. In ihrer Amtszeit hat sie sich für eine grüne Transformation der Wirtschaft, digitale Souveränität und eine stärkere geopolitische Rolle Europas eingesetzt. Ihre Entscheidungen prägen maßgeblich die Wirtschafts- und Handelspolitik der EU.
Was ist die Europäische Kommission?
Die Europäische Kommission ist das Exekutivorgan der EU. Sie setzt EU-Gesetze um, schlägt neue Regelungen vor und überwacht die Einhaltung bestehender Vorschriften. Die Kommission spielt eine zentrale Rolle in der Wirtschafts-, Handels- und Klimapolitik der Europäischen Union.
Was ist das europäische Lieferkettengesetz?
Das europäische Lieferkettengesetz soll Unternehmen dazu verpflichten, ihre globalen Lieferketten auf Menschenrechts- und Umweltstandards zu überprüfen. Geplante Änderungen könnten die Anforderungen für Unternehmen reduzieren oder flexibler gestalten.
Was ist die Welthandelsorganisation (WTO)?
Die WTO ist eine internationale Organisation, die den weltweiten Handel regelt. Sie setzt Handelsabkommen durch und schlichtet Streitigkeiten zwischen Staaten. Die EU wirft China Verstöße gegen WTO-Regeln vor, indem es europäischen Unternehmen den Marktzugang erschwert.
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