Fünf Jahre nach dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union hat Premierminister Keir Starmer seine Bereitschaft signalisiert, die Beziehungen zur EU zu vertiefen. "Es liegt im nationalen Interesse des Vereinigten Königreichs, eine kooperativere Beziehung zur EU zu pflegen", erklärte ein Sprecher des Premiers am Freitag in der Downing Street. "Wir blicken optimistisch in die Zukunft und wissen, dass wir mehr tun können, damit das britische Volk vom Brexit profitiert."
Die Europäische Union bleibt weiterhin der wichtigste Handelspartner Großbritanniens und ist geografisch wie wirtschaftlich eng verflochten. Dennoch war der fünfte Jahrestag des Brexit kein Anlass für offizielle Feierlichkeiten. Premierminister Starmer, der sich im Referendum 2016 für den Verbleib in der EU ausgesprochen hatte, verzichtete auf eine groß angelegte Erinnerung an das Ereignis. Der Jahrestag verstrich weitgehend unbeachtet.
Am Montag wird Starmer an einem informellen Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs zum Thema Verteidigung teilnehmen. Dies ist das erste Mal, dass ein britischer Premierminister seit dem Brexit an einem solchen Treffen beteiligt ist. Die Geste unterstreicht seinen Ansatz, pragmatische Kooperation mit der EU zu suchen, ohne jedoch eine Rückabwicklung des Brexit in Erwägung zu ziehen.
Der Brexit bleibt ein umstrittenes Kapitel in der britischen Geschichte. Das Referendum von 2016, bei dem 52 Prozent der Wähler für den Austritt aus der EU stimmten, spaltete das Land. Nach mehreren gescheiterten Verhandlungsversuchen unter Premierministerin Theresa May wurde der Brexit erst am 31. Januar 2020 vollzogen. Die von Boris Johnson vorangetriebenen harten Trennungslinien führten in den darauffolgenden Jahren zu wirtschaftlichen Herausforderungen und diplomatischen Spannungen mit Brüssel.
Jüngste Umfragen zeigen, dass die Zustimmung zum Brexit stark nachgelassen hat. Lediglich 30 Prozent der Briten halten die damalige Entscheidung für richtig, und nur elf Prozent sehen den Brexit als Erfolg. Vor diesem Hintergrund plant die Labour-Regierung eine Neujustierung der Beziehungen zur EU. Starmer betonte mehrfach, dass er im Jahr 2026 eine Erneuerung des Kooperationsvertrags mit besseren Handelsbedingungen sowie einer verstärkten Zusammenarbeit in Verteidigungs- und Sicherheitsfragen anstrebe. Er stellte jedoch klar, dass dies keine Umkehr des Brexit bedeuten werde.
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OZD-Kommentar: Ein Balanceakt zwischen Pragmatismus und politischer Realität
Fünf Jahre nach dem Brexit hat sich die politische Landschaft Großbritanniens stark verändert. Die wirtschaftlichen Folgen des EU-Austritts sind spürbar, und der Rückhalt in der Bevölkerung schrumpft. Keir Starmer steht vor der Herausforderung, einen neuen Kurs einzuschlagen, ohne die politischen Spannungen innerhalb seines Landes weiter zu verstärken.
Die enge wirtschaftliche Verflechtung mit der EU macht eine Verbesserung der Handelsbeziehungen unausweichlich. Gleichzeitig muss Starmer darauf achten, keine große Debatte über eine erneute EU-Mitgliedschaft zu entfachen, da diese politisch extrem aufgeladen ist. Seine Strategie, auf eine "kooperativere Beziehung" zu setzen, ist pragmatisch, wird aber auf Widerstand von Brexit-Befürwortern stoßen.
In den kommenden Jahren könnte sich eine Annäherung an die EU vor allem in wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Hinsicht verstärken. Ob dies jedoch reicht, um die Unzufriedenheit über den Brexit in der britischen Bevölkerung zu dämpfen, bleibt fraglich.
Biographien und Erklärungen:
Wer ist Keir Starmer?
Keir Starmer ist seit Juli 2024 Premierminister Großbritanniens und Vorsitzender der Labour-Partei. Zuvor war er von 2020 bis 2024 Oppositionsführer und hat die Partei nach der Niederlage von Jeremy Corbyn wieder in die politische Mitte geführt. Starmer, ein ehemaliger Menschenrechtsanwalt, war vor seiner politischen Laufbahn Direktor der britischen Strafverfolgungsbehörde (Crown Prosecution Service). Seine Politik zeichnet sich durch eine pragmatische, aber progressive Ausrichtung aus, die auf soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Stabilität setzt.
Was ist die Europäische Union?
Die Europäische Union (EU) ist eine wirtschaftliche und politische Staatengemeinschaft aus derzeit 27 Mitgliedsländern. Sie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, um Frieden, Stabilität und wirtschaftlichen Wohlstand in Europa zu sichern. Die EU reguliert eine gemeinsame Handelspolitik, Binnenmarktbestimmungen und hat eine gemeinsame Währung, den Euro, den 20 ihrer Mitgliedsstaaten verwenden.
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