Lieber Herr Heusgen,
liebe Frau Beddoes,
meine Damen und Herren,
20 Kilometer trennen uns hier vom nationalsozialistischen Konzentrationslager Dachau. Dachau, das ist einer der Orte, an dem unermessliche Menschheitsverbrechen begangen wurden, von Deutschen und im deutschen Namen. Der amerikanische Vizepräsident hat Dachau vorgestern besucht und danach einen sehr wichtigen Satz gesagt. Die Gedenkstätte dort zeige – ich zitiere wörtlich –, warum wir uns dafür einsetzen sollten, dass so etwas nie wieder geschieht. Für diesen wichtigen Satz bin ich Vizepräsident Vance sehr dankbar.
Denn dieses Nie-wieder ist die zentrale Lehre, die wir Deutsche nach dem Zweiten Weltkrieg aus der entsetzlichen Erfahrung der nationalsozialistischen Terrorherrschaft gezogen haben, übrigens auch dank großer amerikanischer Unterstützung. Dieses Nie-wieder ist der historische Auftrag, dem Deutschland als freiheitliche Demokratie auch weiterhin Tag für Tag gerecht werden muss und gerecht werden will. Nie wieder Faschismus, nie wieder Rassismus, nie wieder Angriffskrieg.
Deshalb stellt sich eine überwältigende Mehrheit in unserem Land jenen hart entgegen, die den verbrecherischen Nationalsozialismus verherrlichen oder rechtfertigen. Die AfD ist eine Partei, aus deren Reihen heraus der Nationalsozialismus und seine monströsen Verbrechen, Menschheitsverbrechen, wie sie in Dachau geschehen sind, als Vogelschiss der deutschen Geschichte verharmlost werden. Ein Bekenntnis zum Nie-wieder ist daher nicht mit der Unterstützung für die AfD in Einklang zu bringen.
Deshalb werden wir es nicht akzeptieren, wenn Außenstehende zugunsten dieser Partei in unsere Demokratie, in unsere Wahlen und in die demokratische Meinungsbildung eingreifen. Das gehört sich nicht, erst recht nicht unter Freunden und Verbündeten. Das weisen wir entschieden zurück. Wie es mit unserer Demokratie weitergeht, das entscheiden wir selbst.
Unsere heutige Demokratie in Deutschland und in Europa gründet auf der historischen Gewissheit, dass Demokratien von radikalen Antidemokraten zerstört werden können. Deshalb haben wir Institutionen geschaffen, die unsere Demokratien gegenüber ihren Feinden wehrhaft machen, und Regeln, die unsere Freiheit nicht einengen, sondern schützen.
Freiheit und Demokratie gegen ihre Feinde zu verteidigen, das ist seit jeher das, was uns als transatlantische Gemeinschaft zusammenführt und was uns auch heute hier in München zusammenführt. Als Unterstützer von Freiheit und Demokratie stehen wir an der Seite der angegriffenen Ukraine. Ich bin deshalb sehr froh darüber, dass die amerikanische Regierung unser gemeinsames Ziel bekräftigt hat, die souveräne Unabhängigkeit der Ukraine zu erhalten. Diese souveräne Unabhängigkeit muss sich auch in Verhandlungen widerspiegeln. Das bedeutet es, wenn wir sagen: Nichts über die Ukraine ohne die Ukraine.
Dass nun unter Einbeziehung der Ukraine auch direkt mit Russland gesprochen wird, ist richtig. Auch ich habe immer wieder Gespräche mit dem russischen Präsidenten geführt, um ihm zu vermitteln, dass wir einen gerechten Frieden in der Ukraine erwarten und was das für uns bedeutet. Einig sind wir uns wohl alle darin: Der russische Krieg gegen die Ukraine muss enden, so schnell wie möglich. Hunderttausende sind tot oder verwundet, Millionen wurden vertrieben. Welch unermessliches Leid!
Hinzu kommen die zunehmende Eskalation und Globalisierung des Konflikts durch Putin: Drohnen aus Iran, Kanonen und Soldaten aus Nordkorea, Söldner aus dem Jemen. Zu dieser Eskalation gehören auch die gefährlichen Aktionen Russlands gegen Staaten der transatlantischen Allianz, aktive Maßnahmen wie die Sabotage von Unterseekabeln und anderer Infrastruktur, Brandanschläge, Desinformation, Versuche der Manipulation von demokratischen Wahlen.
Auch nach drei Jahren Krieg bleibt es dabei: Wer Grenzen gewaltsam verschieben will, der legt die Axt an unsere Friedensordnung. Grenzen dürfen nicht mit Gewalt verschoben werden. – Dieses Prinzip muss immer und überall gelten, für jede und jeden. Ein Sieg Russlands oder ein Zusammenbruch der Ukraine würden deshalb keinen Frieden schaffen, sondern Frieden und Stabilität weiter in Gefahr bringen, in Europa und darüber hinaus. Frieden gibt es nur, wenn die Souveränität der Ukraine gesichert ist. Ein Diktatfrieden wird deshalb niemals unsere Unterstützung finden. Wir werden uns auch auf keine Lösung einlassen, die zu einer Entkopplung europäischer und amerikanischer Sicherheit führen würde. Davon würde nur einer profitieren: Präsident Putin.
Diese Interessen werden wir Europäer in den bevorstehenden Verhandlungen selbstbewusst und entschlossen vertreten. Wir Europäer sind es, die die Ukraine am stärksten unterstützen, und zwar so lange, wie es nötig ist.
Übrigens, dieses So-lange-wie-nötig endet nicht, wenn die Waffen schweigen. Die Ukraine muss am Ende jeder Verhandlungslösung über Streitkräfte verfügen, mit denen sie jeden erneuten russischen Angriff abwehren kann. Finanziell, materiell und logistisch wird das eine enorme Herausforderung. Die Ukraine allein wird diese Aufgabe auf absehbare Zeit nicht stemmen können. Dafür werden wir Europäer, aber eben auch die transatlantischen und internationalen Partner der Ukraine weiterhin gebraucht, so wie wir bisher große Lasten gemeinsam geschultert haben.
Laut dem Institut für Weltwirtschaft sind die USA und Deutschland mit weitem Abstand die größten Unterstützer der Ukraine. In absoluten Zahlen liegen die USA vorn. In Relation zur Wirtschaftskraft aber liegt die deutsche Unterstützung viermal so hoch wie die amerikanische. Das ist effektives Burdensharing unter Bündnispartnern und Freunden. Bei diesem Burdensharing wollen wir bleiben. Dazu dient zum Beispiel der Kredit der G7 in Höhe von 50 Milliarden Dollar.
Auch wir in Deutschland sind in der Lage, die Ukraine auf dem bisherigen hohen Niveau weiterhin zu unterstützen. Die in der deutschen Verfassung verankerte Schuldenbremse sieht Ausnahmen für Notlagen vor. Ein Krieg mitten in Europa ist eine Notlage. Was denn sonst? Ich bin mir sicher: Genau dafür wird es nach der anstehenden Bundestagswahl auch eine Mehrheit im Deutschen Bundestag geben, auch wenn manche dieser Frage vor der Wahl lieber ausweichen wollen.
Völlig unzweifelhaft ist auch, dass unsere Verteidigungsausgaben weiterhin deutlich wachsen müssen, und zwar nicht nur, damit Europa für die USA ein Verbündeter auf Augenhöhe wird und bleibt, sondern auch, damit wir Europäer weiterhin in Frieden leben können. Maßstab muss die Bedrohung durch Russland und das Erreichen aller daraus abgeleiteten Fähigkeitsziele der NATO sein. Für mich war immer klar, dass das Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro, das wir nach der Zeitenwende für die Bundeswehr geschaffen haben, dabei nur ein erster Schritt ist. Allein um das Zwei-Prozent-Ziel der NATO zu halten, brauchen wir ab 2028 30 Milliarden Euro zusätzlich. Jedes weitere Prozent, das wir zusätzlich für unsere Verteidigung ausgeben, entspricht nach jetzigem Stand noch einmal 43 Milliarden Euro pro Jahr.
Das sind gewaltige Beträge. Bis Ende dieses Jahrzehnts reden wir über dreistellige Milliardensummen. Jeder, der behauptet, das könne man durch eine kleine Kürzung hier und eine weitere Kürzung dort aus dem laufenden Haushalt heraussparen, sagt den Bürgerinnen und Bürgern nicht die Wahrheit. Wir müssen deshalb unmittelbar nach der anstehenden Bundestagswahl die Schuldenbremse in unserem Grundgesetz reformieren, indem wir Investitionen in unsere Sicherheit und Verteidigung davon ausnehmen. Ich sage Ihnen heute voraus: Auch dafür wird es nach der Wahl eine Mehrheit geben.
Eingebettet sein müssen diese nationalen Anstrengungen in eine Stärkung europäischer Fähigkeiten. Dazu zählt ausdrücklich, dass wir sicherheitsrelevante Schlüsseltechnologien in Europa halten und ansiedeln. Wir brauchen zudem eine starke europäische Rüstungsindustrie mit einer permanenten Produktion der wichtigsten Munitions- und Waffengattungen in Europa. Das geht nur, wenn wir Bestellungen europäisch bündeln und die Zusammenarbeit unserer Rüstungsunternehmen nicht unnötig beschränken. Gleichzeitig sage ich: Wir geben die transatlantische Verschränkung unserer Verteidigungsindustrien nicht auf. Wir werden auch in Zukunft neue amerikanische Rüstungsgüter kaufen.
Auch hier gilt: Wir müssen jetzt beantworten, wie wir das in Europa finanzieren. – Ich schlage deshalb vor, dass wir im Stabilitätspakt der Europäischen Union eine Ausnahme für alle Investitionen in Verteidigungsgüter einführen, die oberhalb unseres bisherigen NATO-Ziels von zwei Prozent liegen, zeitlich befristet und unter Wahrung fiskalischer Solidität aller Mitgliedstaaten. Deutschland ist dazu bereit. Frieden und Sicherheit in Europa stehen auf dem Spiel. Deshalb muss dies die Stunde Europas sein. Die Stärkung europäischer Fähigkeiten muss in einem klar definierten Zeitrahmen stattfinden. Darin läge buchstäblich eine Win-win-win-Strategie. Sie hätte zum einen die Entlastung der USA in Europa zur Folge. Sie würde zum anderen zu einem deutlich stärkeren Europa innerhalb der NATO führen. Und sie würde auch die NATO insgesamt stärken, und zwar in ihrer gesamten transatlantischen Dimension.
Meine Damen und Herren, ich finde, die Münchner Sicherheitskonferenz ist der ideale Ort, um über solche Ideen zu reden. Ein realistischer Blick in die Welt zeigt uns: Es ist höchste Zeit dafür.
Schönen Dank.
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