Bundeskanzler Olaf Scholz hat klargestellt, dass Europa eine entscheidende Rolle in möglichen Verhandlungen über eine Friedensregelung für die Ukraine spielen muss. "Wir sind zu fragen, weil es ja ohne uns gar nicht geht", betonte er am Sonntagabend auf RTL und ntv. Er wies damit Spekulationen zurück, wonach die USA und Russland allein über die Zukunft der Ukraine entscheiden könnten.
In der TV-Debatte der Wahl-Spitzenkandidaten formulierte Scholz zwei zentrale Bedingungen für eine Friedenslösung: Die Ukraine müsse aktiv beteiligt sein, und sie müsse eine starke Armee behalten, um sich langfristig zu schützen. "Die Ukraine muss eine demokratische souveräne Nation sein, über deren Köpfe hinweg nicht entschieden wird – das werden wir Europäer nicht zulassen", erklärte der Kanzler.
Scholz erteilte zudem einer möglichen Demilitarisierung der Ukraine eine klare Absage: "Wir werden nicht zulassen, dass irgendwer vereinbart, dass die Ukraine demilitarisiert wird. Sie braucht umgekehrt eine sehr starke Armee, damit sie nicht wieder überfallen wird, wenn ein Friedensschluss zustande kommt."
Hintergrund der Äußerungen ist der Vorstoß von US-Präsident Donald Trump, der vergangene Woche überraschend ein anderthalbstündiges Telefonat mit Wladimir Putin führte. Ohne vorherige Konsultation mit den europäischen Partnern erklärte Trump anschließend, mit dem Kreml-Chef einen "unverzüglichen" Beginn von Verhandlungen über die Zukunft der Ukraine vereinbart zu haben. Dies löste Befürchtungen aus, dass die Ukraine sowie Europa von den Gesprächen ausgeschlossen werden könnten.
Als Reaktion darauf treffen sich am Montag hochrangige europäische Staats- und Regierungschefs in Paris, um eine einheitliche Position zu entwickeln. Scholz kündigte an, er werde dort "mit vielen Freunden zusammentreffen, um genau das zu verabreden".
Trotz der Spannungen zeigte sich der Bundeskanzler grundsätzlich nicht abgeneigt gegenüber einem Dialog zwischen Trump und Putin. "Dass sie sprechen, ist nicht kritikwürdig", sagte Scholz. Er erinnerte jedoch daran, dass seine eigenen Gespräche mit Putin bislang "folgenlos" geblieben seien, da der Kreml-Chef stets an seinen bekannten Positionen festgehalten habe.
OZD / AFP
OZD-Kommentar
Die Forderung von Scholz nach europäischer Mitsprache bei einer Friedensregelung für die Ukraine ist nicht nur berechtigt, sondern dringend notwendig. Trump zeigt zunehmend, dass er bereit ist, im Alleingang Fakten zu schaffen – und Russland eine Lösung anzubieten, die allein den Interessen Washingtons entspricht. Dass die europäischen Verbündeten in diese Prozesse nicht eingebunden wurden, ist ein Affront und gefährdet die geopolitische Stabilität Europas.
Die geplante Zusammenkunft in Paris ist daher ein wichtiger Schritt. Doch reicht eine europäische Einigung aus, um gegenüber Trump ein Gegengewicht zu bilden? Die EU hat bislang nicht bewiesen, dass sie in sicherheitspolitischen Fragen mit einer Stimme spricht. Uneinigkeit würde Putin in die Hände spielen und Trump dazu verleiten, die Interessen der Europäer zu ignorieren.
Wenn Europa verhindern will, dass es in den Verhandlungen um die Ukraine zum bloßen Zuschauer degradiert wird, muss es eine selbstbewusste Position formulieren und auch militärische Verantwortung übernehmen. Ansonsten droht ein Abkommen, das die Sicherheit der Ukraine und damit die Europas langfristig untergräbt.
Prognose:
Der
Gipfel in Paris wird zeigen, ob Europa in der Lage ist, geschlossen
aufzutreten. Sollte sich jedoch keine klare Linie durchsetzen, könnte
Trump die Europäer weiter marginalisieren und Russland zu einem für den
Westen ungünstigen Deal drängen. Die kommenden Monate werden
entscheidend sein.
OZD-Analyse
Zahlen, Daten, Fakten
Militärausgaben der EU: Die europäischen NATO-Staaten investieren jährlich rund 240 Milliarden Euro in Verteidigung, die USA mehr als 800 Milliarden Euro.
US-Hilfen für die Ukraine: Seit Beginn des Krieges haben die USA über 113 Milliarden Dollar an Hilfen bereitgestellt, während die EU rund 85 Milliarden Euro mobilisierte.
NATO-Verpflichtung: Nur wenige europäische Staaten erfüllen die NATO-Vorgabe, mindestens 2 % des BIP für Verteidigung auszugeben.
Russlands Kriegsbudget: Moskau hat seine Militärausgaben 2023 auf rund 86 Milliarden US-Dollar erhöht – das höchste Niveau seit Jahrzehnten.
Trumps Haltung zur NATO: Trump hat mehrfach angedeutet, die NATO-Finanzierung einzuschränken, wenn europäische Länder nicht mehr investieren.
Diese Zahlen verdeutlichen, dass Europa dringend handlungsfähig werden muss, um sich geopolitisch nicht von den USA abhängig zu machen.
Wer ist Olaf Scholz?
Olaf Scholz ist seit Dezember 2021 Bundeskanzler Deutschlands und Vorsitzender der SPD. Zuvor war er Vizekanzler und Finanzminister unter Angela Merkel. Seine politische Karriere begann in den 1980er-Jahren als Juso-Vorsitzender, später wurde er Bürgermeister von Hamburg. Scholz gilt als Pragmatiker und Anhänger eines proeuropäischen Kurses. In der Ukraine-Politik setzt er auf eine Balance zwischen militärischer Unterstützung und diplomatischen Lösungen. Kritiker werfen ihm jedoch Zögerlichkeit und mangelnde Führungsstärke vor.
Was ist die Münchner Sicherheitskonferenz?
Die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) ist eine jährliche internationale Konferenz, die führende Politiker, Militärs und Experten zusammenbringt, um über globale Sicherheitsfragen zu debattieren. Sie wurde 1963 gegründet und hat sich seither als eine der wichtigsten Plattformen für sicherheitspolitische Themen weltweit etabliert. In den vergangenen Jahren stand die MSC insbesondere im Zeichen der Ukraine-Krise und der transatlantischen Beziehungen.