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Draghi warnt EU: Ohne radikale Wende droht wirtschaftlicher Rückfall

Mario Draghi ruft die EU zu einer „radikalen“ Wirtschaftswende auf. Angesichts neuer US-Zölle, steigender Investitionsbedarfe und globaler Unsicherheiten fordert der Ex-EZB-Chef massive Finanzspritzen. Doch Widerstand gegen Gemeinschaftsschulden könnte den Plan bremsen.

Die Europäische Union steht vor einer gewaltigen wirtschaftlichen Herausforderung. Mario Draghi, ehemaliger Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), warnte am Dienstag in Brüssel, dass Europa angesichts der angekündigten US-Zölle, des technologischen Wettlaufs um Künstliche Intelligenz und der weiterhin volatilen Energiepreise dringend handeln müsse. „Wir brauchen eine radikale Veränderung“, betonte Draghi vor Europaabgeordneten.

Die Dringlichkeit dieser Maßnahmen sei durch die neue Wirtschaftspolitik von US-Präsident Donald Trump noch verstärkt worden. Während in den USA protektionistische Maßnahmen drohen und Washington sich zunehmend aus der europäischen Sicherheitsarchitektur zurückzieht, müsse die EU wirtschaftlich mehr Eigenverantwortung übernehmen. „Wir werden in den kommenden Monaten, wahrscheinlich sogar Wochen, mit Zöllen der neuen US-Regierung konfrontiert sein“, prognostizierte Draghi.

Der frühere italienische Ministerpräsident hatte bereits im September in einem Bericht für EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen umfassende Investitionen gefordert. Nun bezifferte er den Finanzbedarf auf 750 bis 800 Milliarden Euro jährlich – eine „konservative Schätzung“, wie er betonte. Dabei gehe es nicht nur um Wirtschaftsförderung, sondern auch um Verteidigung und Klimaschutz.

Doch genau hier liegt das Problem: Während Länder wie Deutschland und die Niederlande weiter gegen neue EU-Gemeinschaftsschulden sind, fehlt eine konkrete Finanzierungsperspektive. Ohne einen europäischen Investitionsfonds sei die Wettbewerbsfähigkeit der EU ernsthaft gefährdet.

Draghi fordert deshalb eine beispiellose Zusammenarbeit zwischen nationalen Regierungen, Parlamenten, der EU-Kommission und dem Europaparlament. Nur wenn die EU geschlossen auftrete und als wirtschaftliche Einheit agiere, könne sie sich gegen den zunehmenden wirtschaftlichen Druck aus China und den USA behaupten.

OZD / ©AFP


OZD-Kommentar

Draghis Weckruf: Wird Europa endlich aufwachen?

Mario Draghi hat es erneut klar formuliert: Die EU steht vor einer wirtschaftlichen Zeitenwende. Während Trump protektionistische Zölle vorbereitet und sich aus der europäischen Sicherheitsarchitektur zurückzieht, setzt China seine wirtschaftliche Expansion fort. Die Frage ist nicht mehr, ob Europa handeln muss, sondern wann.

Draghis Forderung nach jährlichen Investitionen von bis zu 800 Milliarden Euro ist kein Wunschdenken, sondern eine Notwendigkeit. Europa hinkt bereits bei Künstlicher Intelligenz, Digitalisierung und Energiewende hinterher. Ohne massive Investitionen droht die EU wirtschaftlich ins Hintertreffen zu geraten – mit Folgen für Arbeitsplätze, Wohlstand und geopolitischen Einfluss.

Doch der Widerstand gegen EU-Schulden und gemeinschaftliche Finanzierungsmodelle bleibt groß. Länder wie Deutschland und die Niederlande bremsen eine paneuropäische Wirtschaftspolitik aus Angst vor einer Vergemeinschaftung der Schulden. Dabei zeigt sich längst: Ohne ein gemeinsames wirtschaftspolitisches Fundament wird Europa nicht bestehen können.

Sollte die EU weiterhin zögern, könnte Trump den globalen Handelskrieg anheizen, während China seine Vormachtstellung weiter ausbaut. Europa droht, zwischen den Machtblöcken zerrieben zu werden. Ohne schnelle wirtschaftspolitische Maßnahmen könnte sich das kommende Jahrzehnt als der Wendepunkt erweisen, an dem Europa vom Global Player zur Randfigur wurde.



Analyse: Zahlen, Daten, Fakten

Draghis Forderungen:

750–800 Milliarden Euro pro Jahr an Investitionen in Wirtschaft, Verteidigung und Klimaschutz, Mehr Eigenständigkeit bei Wirtschaftspolitik und Handel, Reduktion von Bürokratie zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit


Wirtschaftliche Herausforderungen der EU:

Neue US-Zölle: Trump plant Strafzölle auf europäische Produkte

KI-Wettlauf: Europa liegt weit hinter den USA und China zurück

Steigende Energiepreise: Abhängigkeit von fossilen Energieträgern weiterhin hoch

Widerstand gegen EU-Schulden: Deutschland & Niederlande blockieren neue Finanzierungskonzepte


Vergleich EU vs. USA & China:

USA: Massive Investitionen in Technologie & Verteidigung (Inflation Reduction Act, Chips Act)

China: Staatlich geförderte Dominanz in Künstlicher Intelligenz und erneuerbaren Energien

EU: Geteilte Wirtschaftsstrategien, wenig koordinierte Investitionen


Mögliche Szenarien für die EU:

1. Szenario: Europa einigt sich auf ein Investitionsprogramm und bleibt wettbewerbsfähig

2. Szenario: Einzelne Länder setzen eigene Strategien um, EU wird wirtschaftlich gespalten

3. Szenario: Kein Handeln – Europa fällt wirtschaftlich zurück und verliert globalen Einfluss


Wer ist Mario Draghi?

Mario Draghi (*1947) ist ein italienischer Ökonom und Politiker. Er war von 2011 bis 2019 Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) und spielte eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der Eurokrise. Sein berühmtes Versprechen, die EZB werde „whatever it takes“ tun, um den Euro zu retten, machte ihn zur zentralen Figur der europäischen Finanzpolitik. 2021 bis 2022 war er Ministerpräsident Italiens. Heute berät er die EU in wirtschaftspolitischen Fragen.

Was ist die Europäische Zentralbank (EZB)?

Die Europäische Zentralbank (EZB) ist die zentrale Institution der Eurozone, die für die Geldpolitik der Länder mit gemeinsamer Währung verantwortlich ist. Gegründet 1998, hat sie das Ziel, Preisstabilität zu sichern und Wirtschaftswachstum zu fördern. In Krisenzeiten hat die EZB durch milliardenschwere Anleihenkäufe zur Stabilisierung der Märkte beigetragen. Aktuell steht sie vor der Herausforderung, Inflation zu bekämpfen, während die Wirtschaft der Eurozone schwächelt.


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