Der Einsatz von Antibiotika in Deutschland hat im Jahr 2023 einen deutlichen Anstieg verzeichnet. Laut einer Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK wurden 36,1 Millionen Packungen in der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet – ein Plus von 18,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit liegt der Verbrauch erstmals wieder über dem Niveau vor der Corona-Pandemie. Besonders der Einsatz sogenannter Reserveantibiotika bleibt im Fokus der Experten.
Während die Gesamtverordnungen wieder steigen, zeigt sich bei den Reserveantibiotika eine relative Stabilität. Ihr Anteil lag 2023 bei 43,4 Prozent, ein leichter Anstieg gegenüber 42,4 Prozent im Vorjahr, aber weiterhin unter dem Niveau von 2019, als 46,8 Prozent der Verordnungen auf diese Mittel entfielen. Reserveantibiotika werden für Infektionen eingesetzt, die sich mit herkömmlichen Medikamenten nicht mehr behandeln lassen, und gelten als letzte Option gegen multiresistente Keime.
Trotz der insgesamt stabilen Quote kritisiert das AOK-Institut die weiterhin hohen Verordnungsmengen. Mit 15,7 Millionen Packungen im Jahr 2023 sei der Einsatz immer noch zu hoch. „Die Zahlen deuten darauf hin, dass ihr zurückhaltender Einsatz noch nicht konsequent genug gelingt“, erklärte Instituts-Geschäftsführer Helmut Schröder.
Neben der Humanmedizin spielt der Antibiotikaverbrauch in der Tierhaltung eine zentrale Rolle. Tierärzte gaben laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit im Jahr 2023 rund 529 Tonnen Antibiotika ab. Das ist der niedrigste Stand seit Beginn der Erfassung im Jahr 2011 und ein Rückgang von 2,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 2014 waren in der Tiermedizin noch 1238 Tonnen verbraucht worden.
Das AOK-Institut lobte die Fortschritte bei der Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes in der Nutztierhaltung als wichtigen Beitrag zur Eindämmung von Resistenzen. Dennoch sei auch in der Humanmedizin eine konsequente Reduktion nötig, um die langfristige Wirksamkeit der Medikamente sicherzustellen.
OZD / AFP
OZD-Kommentar
Der erneute Anstieg des Antibiotikaverbrauchs ist ein Warnsignal. Während die Corona-Pandemie offenbar zu einem kurzzeitigen Rückgang geführt hatte, kehrt Deutschland nun zum alten Muster zurück – mit möglicherweise weitreichenden Folgen. Besonders bedenklich ist die weiterhin hohe Zahl an Reserveantibiotika-Verordnungen. Diese Medikamente sollten nur in absoluten Notfällen zum Einsatz kommen, doch die Zahlen zeigen, dass die Verschreibungspraxis noch immer zu großzügig ist.
Resistenzen gegen Antibiotika sind eine der größten globalen Gesundheitsbedrohungen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt, dass wir in eine „postantibiotische Ära“ geraten könnten, in der selbst einfache Infektionen wieder lebensgefährlich werden. Die Politik muss hier klare Vorgaben setzen. Strengere Kontrollmechanismen und Anreize für Ärzte, alternative Behandlungswege zu wählen, könnten helfen, den Verbrauch zu senken.
Während die Tiermedizin Fortschritte macht und der Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung stetig zurückgeht, bleibt die Humanmedizin ein Sorgenkind. Wenn hier keine Kurskorrektur erfolgt, wird Deutschland bald vor einem massiven Problem stehen – und dann könnte es für eine echte Wende zu spät sein.
OZD-Analyse
Antibiotikaverbrauch in Deutschland
Die Zahl der Antibiotikaverordnungen stieg 2023 auf 36,1 Millionen Packungen, ein Anstieg von 18,4 Prozent gegenüber 2022
Der Verbrauch liegt nun wieder über dem Vor-Pandemie-Niveau von 2019
Der Gesamtwert der verordneten Antibiotika belief sich auf 792 Millionen Euro
Einsatz von Reserveantibiotika
Der Anteil von Reserveantibiotika an allen Verordnungen lag 2023 bei 43,4 Prozent
2019 lag der Anteil noch bei 46,8 Prozent, im Jahr 2022 bei 42,4 Prozent
Experten kritisieren, dass mit 15,7 Millionen Packungen weiterhin zu viele dieser kritischen Medikamente verordnet werden
Antibiotika in der Tierhaltung
2023 wurden 529 Tonnen Antibiotika in der Nutztierhaltung verbraucht
Das ist der niedrigste Wert seit Beginn der Erfassung im Jahr 2011
Seit 2014 hat sich der Antibiotikaverbrauch in der Tierhaltung um mehr als 50 Prozent reduziert
OZD-Biographien und Erklärungen
Was ist ein Reserveantibiotikum?
Reserveantibiotika
sind spezielle Antibiotika, die nur dann eingesetzt werden, wenn
herkömmliche Mittel nicht mehr wirken. Sie werden gezielt gegen
multiresistente Bakterien eingesetzt und sollen daher möglichst sparsam
verwendet werden, um die Entstehung neuer Resistenzen zu vermeiden.
Was ist das Wissenschaftliche Institut der AOK?
Das
Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) ist eine
Forschungseinrichtung der gesetzlichen Krankenversicherung AOK. Es
analysiert Versorgungsdaten und entwickelt Strategien zur Verbesserung
der Gesundheitsversorgung in Deutschland.
Weiterempfehlen?
Hier ist der QR-Code der Online-Zeitung-Deutschland!
Lesen Sie kostenlos und schlagen Sie in Ruhe nach! Vielen Dank!