Nach dem diplomatischen Eklat beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus ergreift Europa die Initiative. Der britische Premierminister Keir Starmer kündigte am Sonntag an, dass Großbritannien, Frankreich und möglicherweise weitere Länder gemeinsam mit der Ukraine einen Plan zur Beendigung der Kämpfe erarbeiten wollen. Der Vorschlag soll anschließend mit den USA besprochen werden.
Starmer äußerte sich kurz vor einem Gipfeltreffen europäischer Staats- und Regierungschefs in London, an dem auch Bundeskanzler Olaf Scholz teilnahm. „Szenen wie am Freitag im Weißen Haus will niemand sehen“, sagte der britische Premierminister. Die öffentliche Konfrontation zwischen Donald Trump, seinem Vize JD Vance und Selenskyj sei beschämend gewesen. „Wir müssen einen Weg finden, wie wir alle zusammenarbeiten können“, betonte Starmer. Nach drei Jahren Krieg müsse Frieden Priorität haben.
Ob die USA die Ukraine weiter unterstützen, ist nach den Ereignissen vom Freitag unklar. Trump und Vance warfen Selenskyj fehlende Dankbarkeit für die US-Militärhilfe vor und forderten ihn auf, einem „Deal“ mit Russland zuzustimmen. Trump drohte mit einem Ende der US-Unterstützung. Der ukrainische Präsident verließ das Weiße Haus im Streit, die geplante Unterzeichnung eines Rohstoffabkommens scheiterte. Später schrieb Trump auf Truth Social, Selenskyj könne „zurückkommen, wenn er bereit für den Frieden ist“.
Der beispiellose Vorfall löste in Europa Bestürzung aus. Bundeskanzler Scholz sicherte der Ukraine die Unterstützung Deutschlands und Europas zu. CDU-Chef Friedrich Merz, der voraussichtlich Scholz als Kanzler ablösen wird, betonte: „Wir dürfen nie den Aggressor und das Opfer in diesem schrecklichen Krieg verwechseln.“
Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas äußerte Zweifel daran, dass die USA weiterhin eine Führungsrolle in der westlichen Welt einnehmen können. Außenministerin Annalena Baerbock warnte vor einer Täter-Opfer-Umkehr und erklärte, der Feind sitze „allein im Kreml“.
Nato-Generalsekretär Mark Rutte forderte Selenskyj auf, das Verhältnis zu Trump zu reparieren. Die Ukraine, Europa und die USA müssten geeint bleiben, um einen dauerhaften Frieden zu ermöglichen. Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni warnte in London davor, dass der Westen sich spalten könnte.
Selenskyj betonte die Bedeutung weiterer US-Unterstützung. „Es ist entscheidend für uns, die Unterstützung von Präsident Trump zu haben“, schrieb er auf X. „Er will den Krieg beenden, aber niemand will den Frieden mehr als wir.“
Nach seinem Besuch in Washington reiste Selenskyj nach London weiter, wo er von Starmer empfangen wurde. Großbritannien gewährte der Ukraine einen Kredit über 2,74 Milliarden Euro zur Stärkung ihrer Verteidigungskraft. Dies sei ein Zeichen der „unerschütterlichen Unterstützung für das ukrainische Volk“.
Auf dem Londoner Gipfel beraten europäische Staats- und Regierungschefs über eine engere Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen. Angesichts der ungewissen US-Politik wird die Frage einer europäischen nuklearen Abschreckung diskutiert. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zeigte sich offen für Gespräche mit Deutschland und Großbritannien über eine solche Strategie.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
OZD-Kommentar:
Europa steht an einem Wendepunkt. Die Ereignisse im Weißen Haus haben gezeigt, dass die USA keine verlässliche Führungsrolle mehr übernehmen.
a) Trump stellt seine Interessen über die internationale Stabilität. Seine Angriffe auf Selenskyj zeigen, dass er bereit ist, die Ukraine ohne Rücksicht auf geopolitische Folgen unter Druck zu setzen.
b) Europa muss handeln. Wenn die USA ihre Unterstützung zurückziehen, liegt es an Großbritannien, Frankreich und Deutschland, die Ukraine weiterhin zu stärken. Eine koordinierte Verteidigungspolitik ist überfällig.
c) Die transatlantische Beziehung wird belastet bleiben. Selbst wenn Trump in Zukunft kooperiert, bleibt seine Unberechenbarkeit ein Risiko. Europa kann sich nicht mehr auf Washington verlassen und muss eigene Wege gehen.
OZD-Analyse:
Bedeutung des Eklats
a) Die öffentliche Konfrontation zwischen Trump und Selenskyj markiert einen Tiefpunkt in den transatlantischen Beziehungen.
b) Europa sieht sich gezwungen, eine Führungsrolle in der Ukraine-Politik zu übernehmen.
c) Der Vorfall zeigt, wie sehr sich die US-Außenpolitik unter Trump verändert hat.
Folgen für die Ukraine
a) Die Unsicherheit über die künftige US-Unterstützung erschwert Kiews Position.
b) Europa signalisiert, dass es bereit ist, mehr Verantwortung zu übernehmen.
c) Selenskyj muss eine Balance zwischen Washington und europäischen Partnern finden.
Europas sicherheitspolitische Konsequenzen
a) Der Londoner Gipfel könnte die Weichen für eine engere europäische Verteidigungszusammenarbeit stellen.
b) Die Debatte über eine europäische nukleare Abschreckung gewinnt an Bedeutung.
c) Langfristig könnte sich Europa unabhängiger von den USA machen müssen.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.