In Istanbul ist es nach der Festnahme des populären Oppositionspolitikers Ekrem Imamoglu zu massiven Protesten gekommen. Tausende Anhänger des Istanbuler Bürgermeisters versammelten sich am Donnerstagabend vor dem Rathaus der Stadt, um gegen die Verhaftung zu demonstrieren. Die Polizei setzte Gummigeschosse und Tränengas ein, um die Menge auseinanderzutreiben. Angaben über Verletzte lagen zunächst nicht vor.
Auch auf dem symbolträchtigen Taksim-Platz, dem Zentrum der Gezi-Proteste von 2013, versuchten die Sicherheitskräfte, Menschenansammlungen zu verhindern. „Wer seid ihr, dass ihr die Hoffnung der Türkei mit Tränengas besprüht?“, rief CHP-Chef Özgür Özel in Richtung der Beamten. Aus der Menge erklangen Sprechchöre, in denen der Rücktritt von Präsident Recep Tayyip Erdogan gefordert wurde.
Imamoglu war am Mittwochmorgen bei einer Razzia in seinem Wohnhaus festgenommen worden. Ihm und mehr als hundert weiteren Personen, darunter CHP-Abgeordnete, Parteimitglieder und enge Mitarbeiter, werden Korruption, Erpressung und die Leitung einer „kriminellen Organisation“ vorgeworfen. Ein weiteres Verfahren wegen „Unterstützung von Terrorismus“ soll sich auf angebliche Kontakte zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) beziehen.
Zusätzlich wurde dem Politiker von der Universität Istanbul sein Hochschulabschluss aberkannt – ein Schritt, der ihn von einer Präsidentschaftskandidatur ausschließen könnte. Laut Wahlgesetz ist ein Hochschuldiplom Voraussetzung für das höchste Staatsamt.
OZD / AFP
OZD-Kommentar
Die türkische Regierung zeigt erneut, wie sie gegen ihre politischen Gegner vorgeht. Die Festnahme von Ekrem Imamoglu, Erdogans wohl gefährlichstem Rivalen, reiht sich nahtlos in eine Strategie ein, die Opposition zu schwächen und jede ernstzunehmende Konkurrenz auszuschalten. Die Vorwürfe gegen den Bürgermeister von Istanbul – Korruption, Terrorismusunterstützung, sogar der nachträgliche Entzug seines Diploms – sind allzu offensichtlich politische Instrumente, um ihn aus dem Weg zu räumen.
Doch der Widerstand gegen Erdogans autoritären Kurs wächst. Die massiven Proteste in Istanbul zeigen, dass viele Türken sich nicht länger einschüchtern lassen wollen. Die brutale Reaktion der Polizei mit Tränengas und Gummigeschossen signalisiert, dass die Regierung nervös wird. Imamoglu hat sich als ernstzunehmender Gegner Erdogans erwiesen, und seine Beliebtheit könnte den Autokraten ins Wanken bringen.
Das Vorgehen erinnert an die Wahl 2019, als Imamoglu zunächst unter fadenscheinigen Vorwänden sein Bürgermeisteramt entzogen wurde – nur um bei der Wiederholung der Wahl mit noch größerem Vorsprung zu gewinnen. Die Türkei steht an einem entscheidenden Punkt: Werden die Menschen es zulassen, dass politische Gegner durch fragwürdige Justizverfahren ausgeschaltet werden? Die kommenden Wochen könnten darüber entscheiden, ob sich das Land weiter von demokratischen Prinzipien entfernt oder ob der Widerstand gegen Erdogans autoritäre Methoden wächst.
Was ist die CHP?
Die Cumhuriyet Halk Partisi (CHP) ist die älteste politische Partei der Türkei und wurde 1923 von Mustafa Kemal Atatürk gegründet. Sie gilt als säkular, sozialdemokratisch und proeuropäisch. In den vergangenen Jahren hat die CHP zunehmend Wahlen in großen Städten wie Istanbul und Ankara gewonnen und sich als stärkste Oppositionskraft gegen Präsident Erdogan etabliert.
Wer ist Ekrem Imamoglu?
Ekrem Imamoglu ist seit 2019 Bürgermeister von Istanbul und eine der bekanntesten Oppositionsfiguren in der Türkei. Mit seinem Wahlsieg gegen die regierende AKP brach er Erdogans jahrzehntelange Kontrolle über die Millionenmetropole. Imamoglu wird als aussichtsreicher Kandidat für eine zukünftige Präsidentschaftswahl gehandelt, was ihn ins Visier der türkischen Regierung brachte.
Was ist die PKK?
Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ist eine kurdische militante Organisation, die seit den 1980er-Jahren gegen die türkische Regierung kämpft. Sie wird von der Türkei, den USA und der EU als Terrororganisation eingestuft. Die türkische Regierung beschuldigt häufig Oppositionspolitiker der Unterstützung der PKK, um sie politisch zu diskreditieren.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.