Die politische Lage in der Türkei spitzt sich zu: Präsident Recep Tayyip Erdogan hat die anhaltenden Proteste gegen die Festnahme von Ekrem Imamoglu als „Straßenterror“ bezeichnet. In einer Erklärung am Freitag verurteilte Erdogan die Demonstrationen scharf und erklärte, die Türkei werde sich „nicht dem Straßenterror ergeben“. Die Proteste seien eine „Sackgasse“, sagte der Präsident. Seit Tagen demonstrieren landesweit tausende Menschen, nachdem Imamoglu, Bürgermeister von Istanbul und prominenter Oppositionspolitiker, nach einer Razzia in seinem Haus festgenommen wurde.
Neben Imamoglu wurden über hundert Menschen in Gewahrsam genommen, darunter auch zahlreiche Mitglieder seiner linksnationalistischen Oppositionspartei CHP. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 53-jährigen Politiker Korruption, Erpressung und Unterstützung von Terrorismus vor – letzteres aufgrund angeblicher Verbindungen zur verbotenen PKK. Die Opposition bezeichnet diese Vorwürfe als konstruiert und rein politisch motiviert. Imamoglu galt als aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat für die Wahl 2028, seine Nominierung durch die CHP war für Sonntag geplant.
Die Festnahme löste massive Proteste aus, begleitet von Festnahmen und Verletzten. Die CHP rief zu weiteren Demonstrationen auf. Erdogan scheint entschlossen, die Opposition mit aller Härte einzudämmen – ein Vorgehen, das Erinnerungen an frühere Repressionswellen in der Türkei weckt.
OZD / AFP
OZD-Analyse
1. Politische Dimension der Festnahme Imamoglus
– Imamoglu ist als Bürgermeister von Istanbul ein Symbol des politischen Widerstands gegen Erdogan.
– Seine mögliche Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl 2028 stellt eine echte Herausforderung für Erdogans Macht dar.
– Die Vorwürfe gegen ihn erscheinen konstruiert und dürften gezielt auf seine politische Ausschaltung zielen.
2. Erdogan setzt auf Einschüchterung
– Die massive Repression, begleitet von gezielter Rhetorik wie „Straßenterror“, dient der Einschüchterung der Opposition.
– Mit derartigen Begriffen wird die Protestbewegung kriminalisiert und ihre Legitimität untergraben.
– Der Zeitpunkt der Festnahme – kurz vor der offiziellen Kandidatenkür – unterstreicht den taktischen Charakter.
3. Gefahr weiterer Eskalation in der Türkei
– Die Proteste könnten sich landesweit ausweiten, was zu mehr
Repression, aber auch internationalem Druck auf Erdogan führen dürfte.
– Sollte Imamoglu dauerhaft aus dem politischen Spiel genommen werden, fehlt der Opposition eine zentrale Figur.
– Die Türkei steht damit vor einer gefährlichen politischen Polarisierung, die sich bis zur Wahl 2028 weiter zuspitzen könnte.
OZD-Erklärungen
Wer ist Ekrem Imamoglu?
Ekrem Imamoglu ist Bürgermeister von Istanbul und einer der
profiliertesten Oppositionspolitiker der Türkei. Als Mitglied der
kemalistischen CHP wurde er 2019 überraschend Bürgermeister – und damit
zum ernsthaften Rivalen von Präsident Erdogan. Er gilt als liberal,
wirtschaftsfreundlich und integrationsorientiert.
Was ist die CHP?
Die Cumhuriyet Halk Partisi (Republikanische Volkspartei, kurz CHP) ist
die größte Oppositionspartei in der Türkei. Sie wurde von Mustafa Kemal
Atatürk gegründet und steht für eine säkulare, pro-europäische Linie.
Die Partei ist der schärfste Gegner der regierenden AKP von Präsident
Erdogan.
Was ist die PKK?
Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ist eine kurdisch-marxistische
Organisation, die seit 1984 gegen den türkischen Staat kämpft. Sie gilt
in der Türkei, der EU und den USA als Terrororganisation. Die türkische
Regierung nutzt angebliche PKK-Verbindungen oft, um gegen Oppositionelle
vorzugehen.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.