Vier Tage nach der Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters und Oppositionspolitikers Ekrem Imamoglu hat ein Richter seine Inhaftierung wegen "Korruption" angeordnet. Die Entscheidung traf das Caglayan-Gericht in Istanbul, wie ein Anwalt von Imamoglu der Nachrichtenagentur AFP mitteilte. Die Festnahme des prominenten Gegners von Staatschef Recep Tayyip Erdogan hat in den vergangenen Tagen massive Proteste im ganzen Land ausgelöst: Hunderttausende gingen auf die Straßen, um gegen die Verhaftung zu demonstrieren.
Imamoglu wurde gemeinsam mit rund hundert weiteren Beschuldigten unter großem Polizeiaufgebot dem Gericht vorgeführt. In der Nacht wurde er zwei Mal verhört. Neben Korruptionsvorwürfen wird ihm auch die "Unterstützung einer terroristischen Organisation" angelastet. Dabei geht es um mutmaßliche Verbindungen des CHP-Politikers zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Das Gericht soll in den kommenden Stunden über die Anklagepunkte entscheiden.
Bereits am Samstag war Imamoglu fünf Stunden lang polizeilich verhört worden. Während der Befragung bezeichnete er die Vorwürfe als "unmoralisch und unbegründet". Sie hätten einzig das Ziel, sein "Ansehen" und seine "Glaubwürdigkeit" zu untergraben. Das Vorgehen gegen ihn schade nicht nur dem internationalen Ansehen der Türkei, sondern auch dem Vertrauen der Bevölkerung in die Gerechtigkeit und die Wirtschaft des Landes, so der 53-Jährige.
Die Festnahme Imamoglus hat die größten Oppositionsproteste in der Türkei seit den Gezi-Protesten von 2013 entfacht. Trotz massiven Polizeiaufgebots versammelten sich am Samstagabend erneut tausende Menschen in Istanbul, Ankara und Izmir, um gegen die Inhaftierung des Bürgermeisters zu demonstrieren.
Besonders brisant: Imamoglu sollte am Sonntag offiziell als Präsidentschaftskandidat seiner Partei für die Wahl 2028 nominiert werden. Die CHP hat jedoch angekündigt, trotz der Festnahme an der geplanten Nominierung festzuhalten. OZD/AFP
OZD-Kommentar
Das Vorgehen gegen Imamoglu ist ein klares Zeichen für die zunehmende politische Repression in der Türkei. Die Inhaftierung des populären Oppositionspolitikers zeigt, dass Erdogan entschlossen ist, jegliche ernsthafte Konkurrenz im Keim zu ersticken. Doch die Massenproteste beweisen: Die türkische Gesellschaft ist nicht bereit, diese Angriffe auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit widerspruchslos hinzunehmen. Die kommenden Wochen könnten entscheidend für die politische Zukunft des Landes sein.
OZD-Analyse
Politische Dimension
Imamoglus Inhaftierung schwächt die Opposition massiv.
Erdogan sichert sich strategisch den Machterhalt durch juristische Maßnahmen.
Gesellschaftliche Auswirkungen
Die Proteste könnten sich landesweit ausweiten.
Ein erneutes hartes Vorgehen der Sicherheitskräfte wäre denkbar.
Internationale Reaktion
Westliche Staaten haben bereits Besorgnis geäußert.
Sanktionen oder diplomatische Maßnahmen könnten folgen.
OZD-Prognose Sollte Imamoglu verurteilt werden, wird dies die Opposition weiter destabilisieren. Gleichzeitig könnte es der AKP-Regierung langfristig schaden, wenn die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wächst.
OZD-Faktencheck
Imamoglu gewann 2019 die Bürgermeisterwahl in Istanbul mit 54,2 % der Stimmen.
Seit 2016 wurden zahlreiche Oppositionspolitiker unter Terrorvorwürfen verhaftet.
Die türkische Justiz steht international wegen mangelnder Unabhängigkeit in der Kritik.
Wer ist Ekrem Imamoglu? Ekrem Imamoglu wurde 1970 in Trabzon geboren. Er begann seine politische Karriere in der CHP und wurde 2019 Bürgermeister von Istanbul. Schnell entwickelte er sich zum führenden Oppositionspolitiker gegen Erdogan. Seine pragmatische Politik und volksnahe Art machten ihn populär. Als möglicher Präsidentschaftskandidat für 2028 war er einer der größten Herausforderer des amtierenden Präsidenten.
Alle Angaben ohne Gewähr.
Titelbild: AFP