Istanbul – Zehn Tage nach der Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu haben sich am Samstag Hunderttausende Menschen in Istanbul versammelt, um gegen die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan zu protestieren. Die Demonstration, die von der größten Oppositionspartei CHP organisiert wurde, fand auf der asiatischen Seite der Bosporus-Metropole statt. Der CHP-Chef Özgür Özel sprach vor der Menge von mehr als zwei Millionen Teilnehmern.
„Ich habe keine Angst, ich habe nur ein Leben, ich bin bereit, es für dieses Land zu geben“, sagte eine 82-jährige Demonstrantin, die ihren Namen nicht nennen wollte. „Imamoglu ist ein ehrlicher Mann, er ist derjenige, der die türkische Republik retten wird“, fügte sie hinzu.
Die Demonstranten waren am Morgen auf von der CHP gecharterten Fähren über den Bosporus zum Versammlungsort gefahren. Viele von ihnen trugen türkische Flaggen und Porträts von Mustafa Kemal Atatürk, dem Gründer der modernen Republik Türkei und Symbol der CHP.
Die Protestierenden riefen „Taksim ist überall, Widerstand ist überall“ – ein Slogan, der an die Massenproteste auf dem Taksim-Platz im Jahr 2013 erinnerte. Imamoglus Festnahme am 19. März hatte die größte Protestwelle in der Türkei seit den Gezi-Protesten ausgelöst.
„Wir sind hier, um für unser Land zu kämpfen“, sagte die 17-jährige Melis Basak Ergun. „Wir, das Volk, wählen unsere Herrscher“, fügte sie hinzu und betonte, dass sich die Demonstrierenden nicht von Gewalt oder Tränengas abhalten lassen würden. „Wir stehen hinter unserem Bürgermeister, Imamoglu“, sagte Ergun. Unter den Protestierenden befanden sich auch Imamoglus Ehefrau Dilek und die Kinder des Paares.
Imamoglu wird von der türkischen Justiz unter anderem Korruption vorgeworfen. Vier Tage nach seiner Festnahme wurde er in Untersuchungshaft genommen, und wenig später wurde er als Bürgermeister von Istanbul suspendiert. Die CHP hat Imamoglu trotz seiner Inhaftierung als Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 2028 nominiert.
„Es ist ein Kampf für die Demokratie“, sagte CHP-Chef Özel bei der Kundgebung. Er warnte davor, dass die Türkei unter Erdogan in Gefahr sei, ihre demokratischen Prinzipien zu verlieren. „Wenn wir die Proteste nicht fortsetzen, wird Erdogan dafür sorgen, dass es bald keine ernstzunehmenden Wahlen mehr in der Türkei gibt“, erklärte er und kündigte an, dass die Proteste regelmäßig fortgesetzt werden – „jeden Samstag in einer türkischen Stadt und jeden Mittwoch in Istanbul“.
Imamoglu selbst äußerte sich in einem Gastbeitrag für die „New York Times“. Er erklärte, Erdogan habe ihn verhaftet, weil er wusste, dass er ihn an den Urnen nicht besiegen könne. Die Vorwürfe gegen ihn seien unbegründet, so Imamoglu, und es gebe keine glaubhaften Beweise für die Anschuldigungen.
„Unter Erdogan wurde die Türkei in eine Republik der Angst verwandelt“, schrieb Imamoglu. „Dies ist die absichtliche Zerstörung der institutionellen Grundlagen unserer Republik.“
Imamoglu gilt als der größte innenpolitische Rivale Erdogans und wird von vielen Türken als Hoffnungsträger für einen politischen Wandel gesehen. Es wird erwartet, dass Erdogan 2028 für eine weitere Amtszeit kandidiert, nachdem er seit 2014 Präsident der Türkei ist.
OZD / AFP
OZD-Kommentar
Die Proteste in der Türkei nehmen nach der Festnahme von Imamoglu eine
neue Dimension an. Es bleibt abzuwarten, wie die Regierung auf diese
massive Opposition reagieren wird. Die internationalen Reaktionen und
der Druck auf Erdogan könnten entscheidend für den Verlauf der weiteren
Protestbewegung sein. Wenn scharf auf die Menschen geschossen wird, ist dies das Ende der Demokratie in der Türkei.
OZD-Analyse:
1. Die politische Dimension der Proteste
Die Proteste gegen die Festnahme von Imamoglu sind ein deutliches Zeichen für die Unzufriedenheit der türkischen Bevölkerung mit der Regierung Erdogans. Die Unterstützung für Imamoglu könnte zu einer breiten Bewegung für Demokratie und gegen die politische Repression führen.
Im Kontext der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen 2028 wird Imamoglu als zentrale Figur der Opposition zunehmend wichtig, da er als Symbol des Widerstands gegen Erdogan gesehen wird.
2. Der internationale Druck auf Erdogan
Die internationale Gemeinschaft, insbesondere die EU, könnte auf die fortgesetzte Repression und die Verhaftung von Oppositionellen reagieren. Dies könnte dazu beitragen, den Druck auf Erdogan zu erhöhen und die politische Lage in der Türkei weiter zu destabilisieren.
3. Zukünftige Proteste und ihre Auswirkungen auf die politische Landschaft
Die fortgesetzten Proteste und der Widerstand der Bevölkerung könnten die politische Dynamik in der Türkei verändern und eine breitere Diskussion über die Demokratie im Land anstoßen. Es bleibt abzuwarten, wie lange die Regierung diese Proteste mit Gewalt unterdrücken kann, ohne das Vertrauen in das politische System weiter zu verlieren.
Warum ist die türkische Demokratie bedroht?
Die politischen Entwicklungen in der Türkei zeigen eine Erosion der
demokratischen Strukturen. Die Inhaftierung von Imamoglu und die
Repression gegen Demonstranten unterstreichen die zunehmend autoritäre
Ausrichtung der Regierung Erdogan. Wenn die Oppositionsbewegung weiter
wächst, könnte dies zu einem entscheidenden Wendepunkt für die Türkei
werden.
Alle Angaben ohne Gewähr.
Titelbild: AFP
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