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Im Namen der Demokratie: Die Türkei am Scheideweg

Es ist ein Aufschrei, der durch Ankara hallt – ein Aufschrei nach Gerechtigkeit, nach Freiheit, nach einer Zukunft, die nicht länger von Angst, Willkür und Machterhalt geprägt ist.

Özgür Özel, der Vorsitzende der größten Oppositionspartei CHP, hat klare Worte gefunden: Neuwahlen – spätestens im November. Was wie ein politischer Appell klingt, ist in Wahrheit ein letzter demokratischer Hilferuf in einem Land, dessen politische Grundfesten seit Jahren systematisch unterhöhlt werden.

Im Zentrum dieses dramatischen Moments: Ekrem Imamoglu – der gewählte, beliebte Bürgermeister Istanbuls, Hoffnungsträger der Opposition, nun eingesperrt, kaltgestellt, verleumdet. 

Die offiziellen Vorwürfe? Korruption. Die Wahrheit? Politische Ausschaltung. Mit der willkürlichen Inhaftierung Imamoglus zeigt das Erdoğan-Regime erneut, dass es nicht vor der Zerstörung demokratischer Strukturen zurückschreckt, um seine Macht zu sichern. Es ist ein Angriff – nicht nur auf einen Menschen, sondern auf die gesamte politische Opposition, auf den freien Willen der Bevölkerung, auf die Hoffnung selbst.

Wie oft schon wurde in der Türkei versucht, kritische Stimmen zu kriminalisieren? Wie viele mutige Menschen sitzen in Gefängnissen, weil sie es wagten, laut zu denken? Die Farce, die man in Ankara Justiz nennt, wird immer offensichtlicher zum Instrument eines autoritären Systems. Und trotzdem, oder gerade deswegen, sagt Özel mit fester Stimme: „Wir wollen unseren Kandidaten an unserer Seite haben.“ Dieser Satz ist nicht bloß eine Forderung – er ist ein Versprechen an Millionen Türkinnen und Türken, die den Glauben an eine gerechte Zukunft noch nicht aufgegeben haben.

Die Reaktion der Bevölkerung? Eine Protestwelle, wie sie das Land seit den Gezi-Aufständen 2013 nicht mehr erlebt hat. Menschen strömen auf die Straßen, schwenken Fahnen, rufen nach Imamoglu – aber sie rufen auch nach Würde, nach Mitbestimmung, nach einem Ende der Einschüchterung. Es ist der Klang einer Gesellschaft, die sich nicht länger unterdrücken lassen will.

Und Recep Tayyip Erdoğan? Laut Verfassung darf er nicht noch einmal kandidieren – doch wer glaubt, dass er sich daran halten wird, glaubt auch an Märchen in einem Land, das längst auf dem Index der Pressefreiheit ganz unten steht. Es geht nicht mehr um Politik, es geht um Macht. Um absolute, unangreifbare, autoritäre Macht.

Jetzt ist der Moment gekommen, an dem Europa, die internationale Gemeinschaft, aber vor allem die Bürgerinnen und Bürger der Türkei selbst erkennen müssen: Wenn Imamoglu fällt, fällt mehr als nur ein Mann. Dann fällt das letzte Symbol einer lebendigen Opposition. Dann fällt das Vertrauen in ein System, das schon viel zu lange mit den Grundsätzen einer Demokratie spielt, als wären sie beliebige Schachfiguren.

Die Zeit der stillen Diplomatie ist vorbei. Die Zeit der klaren Worte ist jetzt. Neuwahlen bis November – nicht als taktisches Manöver, sondern als Pflicht gegenüber einem Volk, das genug gelitten hat.

Die Türkei steht am Scheideweg. Und wir alle – auch wir in Europa – dürfen nicht länger schweigen. Denn wenn in Istanbul die Lichter der Freiheit ausgehen, dann wird es überall dunkler.

OZD/AFP



Alle Angaben ohne Gewähr.

Bild: AFP