Zum Inhalt springen
OZD.news - News und Nachrichten zum Nachschlagen
QR-Code zu www.online-zeitung-deutschland.de

Merkels Schatten, Merz’ Grenze

Wie realistisch sind Zurückweisungen an Deutschlands Binnengrenzen?

Friedrich Merz, designierter Kanzler und CDU-Vorsitzender, plant Zurückweisungen an Deutschlands Grenzen. Gespräche mit Nachbarländern laufen bereits – so CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann. Der politische Wind dreht sich, die Migrationspolitik soll laut Koalitionsvertrag verschärft werden. Doch wie realistisch ist die Umsetzung dieses Kurses in Zusammenarbeit mit den europäischen Nachbarn? OZD/AFP

Zutreffendes:
Zurückweisungen an den Binnengrenzen stehen im klaren Spannungsverhältnis zu den Prinzipien des Schengen-Raums, der eigentlich innereuropäische Grenzkontrollen ausschließt. Zwar sind zeitweise Grenzkontrollen rechtlich möglich – wie etwa derzeit an der Grenze zu Österreich – doch dauerhafte Zurückweisungen erfordern bilaterale Abkommen oder Sonderregelungen. Länder wie Polen und Tschechien, mit konservativen Regierungen, könnten einer härteren Gangart gegenüber irregulärer Migration zustimmen. Frankreich oder die Benelux-Staaten hingegen haben in der Vergangenheit Zurückweisungen kritischer gesehen.

Deutung:
Die politische Linie von Friedrich Merz zeigt eine klare Abgrenzung zur Migrationspolitik der Merkel-Jahre. Die CDU strebt einen klaren Kurswechsel an: restriktivere Abschiebungen, ein Ende freiwilliger Aufnahmeprogramme, Einschränkungen beim Familiennachzug. Die Gespräche mit Nachbarstaaten sind ein Signal nach innen wie außen: Die sogenannte „Migrationswende“ soll sichtbar, spürbar und vor allem schnell kommen – bis Juli, wie angekündigt.

Prognose:
Die Wahrscheinlichkeit, dass Zurückweisungen an den Grenzen tatsächlich flächendeckend eingeführt werden, liegt bei etwa 40–60 Prozent, je nach Nachbarland. Österreich dürfte mitziehen, Polen und Tschechien wohl auch – hier liegt die Erfolgswahrscheinlichkeit bei über 60 Prozent. Frankreich, Belgien und die Niederlande dagegen werden mit Verweis auf europäische Normen und humanitäre Standards bremsen – dort liegt die Realisierungschance eher bei unter 30 Prozent. Am Ende wird es wohl zu punktuellen Vereinbarungen kommen, aber keine flächendeckende Lösung auf gesamteuropäischer Ebene.


Ergänzende Einschätzung aus Sicht des Völkerrechts:

Die von Friedrich Merz und der CDU geplanten Zurückweisungen an deutschen Binnengrenzen werfen nicht nur europarechtliche, sondern auch völkerrechtliche Fragen auf. Zentrale Bezugspunkte sind hier das Non-Refoulement-Prinzip, die Genfer Flüchtlingskonvention sowie die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK).

1. Non-Refoulement-Prinzip (Art. 33 GFK)

Dieses völkerrechtlich verankerte Prinzip verbietet die Rückweisung oder Abschiebung eines Menschen in ein Land, in dem ihm Folter, unmenschliche Behandlung oder Verfolgung drohen. Selbst bei irregulärer Einreise darf die Schutzsuche nicht pauschal verwehrt werden, solange nicht geklärt ist, ob die Person einen Asylanspruch geltend machen kann. Eine pauschale Zurückweisung – insbesondere ohne Einzelfallprüfung – wäre mit diesem Grundsatz nicht vereinbar.

2. EMRK – Art. 3 (Verbot unmenschlicher Behandlung)

Die Europäische Menschenrechtskonvention schützt Migrantinnen und Migranten vor unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung. Sollte eine Zurückweisung zur Folge haben, dass Betroffene in Drittstaaten gelangen, in denen die Menschenrechtslage prekär ist (z. B. durch Kettenabschiebungen), wäre dies ein Verstoß gegen Artikel 3 EMRK.

3. Verhältnismäßigkeit und Einzelfallprüfung

Völkerrechtlich ist es zulässig, nationale Migrationspolitik zu gestalten – auch restriktiv. Entscheidend ist jedoch die Verhältnismäßigkeit und die Möglichkeit der Einzelfallprüfung. Eine politische Maßnahme, die pauschal und systematisch ganze Gruppen an der Grenze zurückweist, ohne dass geprüft wird, ob sie Schutz benötigen, wäre mit völkerrechtlichen Standards nicht vereinbar.

4. Kooperation mit „sicheren Drittstaaten“

Völkerrechtlich zulässig sind Zurückweisungen in sogenannte „sichere Drittstaaten“, sofern diese Staaten rechtsstaatliche Verfahren gewährleisten. Doch auch hier muss die Definition von "sicher" sorgfältig geprüft werden. Polen etwa steht wegen seiner Justizreformen in der Kritik, Ungarn wurde vom Europäischen Gerichtshof bereits wegen Verstößen gegen das Asylrecht verurteilt. Damit sinkt die völkerrechtliche Belastbarkeit solcher Rückführungen.

Fazit:
Einzelne Rückführungen in klar definierte, rechtsstaatliche Drittstaaten mit vorheriger Prüfung – ja. Pauschale Zurückweisungen an deutschen Grenzen – höchst problematisch. Völkerrechtlich gesehen sind solche Maßnahmen nur in einem engen, kontrollierten Rahmen möglich. Die Politik der CDU bewegt sich hier auf einem schmalen Grat, der sowohl menschenrechtlich als auch europarechtlich schnell überschritten werden kann. Der Spagat zwischen politischem Handlungsdruck und völkerrechtlicher Verpflichtung wird zum echten Lackmustest für die nächste Bundesregierung.

OZD/vB



Alle Angaben ohne Gewähr.

Bild: AFP