Die EU-Kommission will mit ihrem geplanten Konjunkturprogramm gegen die Corona-Pandemie ein wirtschaftliches Auseinanderdriften der Mitgliedstaaten verhindern. Die Krise dürfe nicht als "große Fragmentierung" Europas in Erinnerung bleiben, sagte EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni am Mittwoch. Die Kommission wolle ihr deshalb kommende Woche "einen ehrgeizigen Erholungsplan" entgegenstellen. Die europäischen Regeln für Hauhaltsdefizite und Gesamtverschuldung bleiben zudem bis auf Weiteres ausgesetzt.
"Das Coronavirus hat uns wie ein Asteroid getroffen und in der europäischen Wirtschaft ein kraterartiges Loch hinterlassen", sagte Vize-Kommissionspräsident Valdis Dombrovskis bei der Vorstellung der länderspezifischen Empfehlungen der Behörde. Unmittelbar gehe es jetzt darum, in die Gesundheitssysteme zu investieren und Arbeitsplätze und Firmen zu schützen. Sobald die EU in die Erholungsphase komme, müsse Schwerpunkt eine gemeinsame Strategie für nachhaltiges Wachstum sein.
Die Kommission geht in ihrer Anfang Mai vorgestellten Frühjahrsprognose von einem Einbruch der EU-Wirtschaftsleistung um 7,4 Prozent im laufenden Jahr aus. Dies ist die tiefste Rezession in der Geschichte der Europäischen Union.
Wegen der Corona-Krise hat Brüssel im März erstmals überhaupt die europäischen Regeln für Haushaltsdefizite und Gesamtverschuldung der Mitgliedstaaten ausgesetzt. Dies sollte es den Regierungen ermöglichen, massive Konjunktur- und Hilfsprogramme für die Wirtschaft aufzulegen, ohne Sanktionen aus Brüssel fürchten zu müssen.
Dombrovskis zufolge ist es zu früh, einen Termin für die Rückkehr zu den EU-Schuldenregeln zu nennen. Erst wenn der schwere wirtschaftliche Abschwung vorbei sei, könnten die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes wieder in Kraft gesetzt werden, sagte er.
Sorge bereitet der Kommission eine Verzerrung des Wettbewerbs auf dem EU-Binnenmarkt wegen unterschiedlicher Haushaltsspielräume für Staatshilfen in den Mitgliedstaaten. So entfiel von den fast zwei Billionen Euro staatlicher Subventionen, die Brüssel wegen der Krise genehmigt hat, die Hälfte der Summe auf Deutschland.
Dies sei für deutsche Firmen "ein riesiger Vorteil" im EU-Wettbewerb, sagte die für Regionalhilfen zuständige Kommissarin Elisa Ferreira. Sie könnten in Europa "alle anderen aufkaufen, weil diese sehr schwach geworden oder in Konkurs gegangen sind".
Ziel des geplanten Konjunkturprogramms der EU-Kommission müsse es deshalb auch sein, "dass faire Wettbewerbsbedingungen wieder hergestellt werden", sagte die Portugiesin. "Wenn die Hälfte der Union in der Rezession steckt, ist das gefährlich. Der Binnenmarkt kann dann nicht funktionieren, der Euro kann nicht funktionieren."
Die Pläne für ihren billionenschweren "Wiederaufbaufonds" will die EU-Kommission am Mittwoch kommender Woche vorlegen. Finanzierung, Umfang und und Auszahlungsmodalitäten sind aber unter den Mitgliedstaaten bisher hoch umstritten.
Deutschland und Frankreich hatten am Montag einen Umfang von 500 Milliarden Euro vorgeschlagen. Die Gelder sollen dabei als Zuschüsse und nicht als Kredite an besonders betroffene Länder fließen.
Dies lehnt die Gruppe der "sparsamen Vier" aus Österreich, den Niederlanden, Dänemark und Schweden strikt ab. Sie wollen nur über rückzahlbare Kredite helfen und in Kürze einen eigenen Vorschlag vorstellen.
Kommissarin Ferreira warnte die Vierer-Gruppe, die Folgen wirtschaftlicher Ungleichgewichte in der EU zu unterschätzen. Die Hälfte ihrer Exporte gingen auf den EU-Markt, sagte sie. "Dessen muss man sich bewusst sein."
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