Nach dem Austritt der USA aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) droht auch Brasilien mit einem solchen Schritt. Präsident Jair Bolsonaro warf der internationalen Organisation "ideologische Voreingenommenheit vor" und sagte am Freitag vor Journalisten, seine Regierung bewerte derzeit den WHO-Austritt der USA. Das Gesundheitsministerium veröffentlicht unterdessen keine Gesamtzahl der Corona-Toten mehr; die regionalen Gesundheitsbehörden warfen der Regierung daraufhin vor, die vielen Opfer der Pandemie "unsichtbar" machen zu wollen.
"Entweder die WHO arbeitet ohne ideologische Voreingenommenheit oder wir gehen auch. Wir brauchen hier keine Außenstehenden, die ihre Meinung zur Gesundheitslage abgeben", verkündete Bolsonaro. Der rechtsradikale Präsident kritisierte die WHO unter anderem dafür, dass sie die klinischen Studien für das Malaria-Medikament Hydroxychloroquin zur Behandlung von Covid-19 ausgesetzt hatte. Bolsonaro hatte - wie US-Präsident Donald Trump - die umstrittene Einnahme des Medikaments als Präventivmaßnahme wiederholt angepriesen.
Die WHO hatte die Versuche mit Hydroxychloroquin ausgesetzt, nachdem mehrere Studien Bedenken hinsichtlich seiner Verträglichkeit und Wirksamkeit aufgeworfen hatten. In einer neuen Studie der Universität Oxford hieß es am Freitag, dass Hydroxychloroquin "keine positive Wirkung" bei der Behandlung der Lungenkrankheit zeige.
Bolsonaro und Trump pflegen ein enges Verhältnis. Sie ähneln sich in ihrer harschen und aggressiven Rhetorik sowie in ihren rechtspopulistischen Ansichten, weshalb Bolsonaro oft auch als "Tropen-Trump" bezeichnet wird. Bolsonaro steht wegen seines Umgangs mit der Corona-Pandemie massiv in der Kritik. Er bezeichnete Covid-19 in der Vergangenheit als "kleine Grippe" und lehnt die von den Bundesstaaten angeordneten Beschränkungen ab, weil die Wirtschaft darunter leide.
Trump hatte jüngst den Bruch seines Landes mit der WHO verkündet. Im Streit um den Umgang mit der Corona-Pandemie hatte er bereits Mitte April die US-Zahlungen an die WHO eingestellt. Trump wirft der UN-Unterorganisation "Missmanagement" sowie Einseitigkeit zugunsten Chinas vor, das als Herkunftsland des neuartigen Coronavirus gilt.
Die 1948 gegründete WHO ist abhängig von den Beiträgen ihrer mehr als 190 Mitgliedsländer sowie von Spenden von Regierungen und nicht-staatlichen Akteuren. Die USA waren bislang der größte Geldgeber.
Die Zahl der in Brasilien an der Lungenkrankheit Covid-19 gestorbenen Menschen überschritt inzwischen die Schwelle von 35.000. Damit ist Brasilien das Land mit der weltweit dritthöchsten Zahl von Corona-Toten nach den USA und Großbritannien. Landesweit wurden bislang mehr als 645.000 Infektionen registriert, Experten gehen jedoch aufgrund der geringen Zahl von Tests von einer hohen Dunkelziffer aus.
Seit Freitagabend veröffentlicht das Gesundheitsministerium keine Gesamtopferzahl mehr, sondern meldet nur noch die Opferzahl jedes Tages. Ein ranghoher Regierungsvertreter hatte die von den örtlichen Behörden gemeldeten Corona-Statistiken zuvor als "unzuverlässig und manipuliert" bezeichnet.
Am Samstag warfen die regionalen Gesundheitsbehörden Bolsonaros Regierung vor, die vielen Corona-Opfer im Land "unsichtbar" machen zu wollen. Dieser "autoritäre, unsensible, unmenschliche und unethische Versuch, die Covid-19-Toten unsichtbar zu machen, wird nicht funktionieren", erklärte der Rat der Gesundheitsminister.
Mit mehr als 6400 Todes- und 63.000 Infektionsfällen ist Rio de Janeiro der am zweitstärksten betroffene Bundesstaat Brasiliens. Am Samstag lockerte der Bundesstaat die verhängten Corona-Beschränkungen: Gouverneur Wilson Witzel ordnete per Dekret an, dass Bars, Restaurants und Einkaufszentren teilweise wieder öffnen dürfen. Auch einige sportliche Aktivitäten sind wieder erlaubt. Viele Menschen strömten nach den Lockerungen wieder an die Strände.
Weltweit starben bislang fast 400.000 Menschen an der durch das Coronavirus ausgelösten Lungenkrankheit Covid-19, rund 6,7 Millionen Infektionsfälle wurden offiziell registriert.
Mit mehr als 1,2 Millionen Infizierten und mehr als 60.000 Todesfällen verlagerte sich das Epizentrum der Pandemie in den vergangenen Wochen nach Lateinamerika. Auch in Mexiko, Peru und Ecuador stiegen die Infektionszahlen zuletzt weiter in die Höhe. In Chile stieg die Zahl der Todesfälle in der vergangenen Woche um mehr als die Hälfte an.
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