Münster - In den
Depots von Museen verbergen sich oft Schätze, die aus unterschiedlichen
Gründen selten oder nie ausgestellt werden. Entweder passen sie nicht in
das Ausstel-lungskonzept oder sie waren einmal Teil einer Ausstellung
und bleiben für die Forschung gut konserviert verwahrt. Der
Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) holt einige dieser Schätze ans
Tageslicht und gibt Einblicke an einen Ort, der Besuchern sonst
verborgen bleibt, zum Beispiel in das Zentrale Fundarchiv der
LWL-Archäologie in Münster.
Verschiedene Datenbanken, alte Excel-Listen und noch ältere Fundbücher,
spezielle Literatur, handschriftliche Karteikarten - all diese Dinge
können einem Archiv-Verwalter helfen, die Her-kunft und Bedeutung eines
Objektes zu klären. Doch gerade was die älteren Fundkomplexe betrifft,
führen digitale und analoge Recherchen nicht immer allein zum Ziel.
Hilfreich und auf-schlussreich können oft Gespräche mit jetzigen und
früheren Kolleginnen und Ausgräbern sein, aber auch die eigene
Erinnerung kann bei der Suche nach Hinweisen helfen. So war es auch bei
Dr. Birgit Mecke, Sachgebietsleiterin des Zentralen Fundarchivs der
LWL-Archäologie, und ihrem derzeitigen Lieblingsobjekt: eine alte,
handgetöpferte und verzierte Urne aus der frühen bis mittleren Eisenzeit
(ca. 6./5. Jahrhundert vor Christus). Mit dieser Epoche hat sich die
Archivleiterin bereits seit ihrem Studium intensiv auseinandergesetzt.
"Es ist spannend, Zusammenhänge zu klären, wenn man mit Funden zu tun
hat, zu denen bisher noch wenig bekannt ist", sagt Mecke. "Und genauso
spannend ist es, wenn man im Archiv Funde entdeckt, die in Westfalen
praktisch keine Parallelen haben." Hier fällt ihr Blick auf das
keramische Gefäß.
Über ihr Lieblingsobjekt weiß die Archivleiterin einiges zu berichten:
Die Urne stammt aus einem Gräberfeld in Warendorf-Milte und ist von Hand
und nicht auf der Töpferscheibe gefertigt worden. Das ungewöhnlich
große Gefäß mit einer Höhe von gut 30 Zentimetern ist mit einem für die
Region um Nienburg (Niedersachsen) typischen Verzierungsmuster aus
eingeritzten Strichgruppen und flachen runden Dellen verziert. "Da war
ein Könner am Werk, der großes handwerkliches Geschick gehabt haben
muss", so Mecke. Besonders bemerkenswert finde sie den Henkel, der sehr
aufwendig gestaltet ist und eventuell auf metallene Vorbilder
zurückgeht. "Ein besonderer Glücksfall ist, dass die Urne bei ihrer
Ausgrabung 1995 fast vollständig geborgen werden konnte", sagt sie und
weist auf die vielen Kartons in den Archivregalen hin, die meistens
nicht mit komplett erhaltenen Fundstücken gefüllt sind, sondern mit
Scherben und Teilen von Objekten.
Um mehr über ein Fundobjekt im Archiv zu erfahren, ist von Anfang an
eine enge Zusammenarbeit gefragt zwischen Ausgräberinnen, Restauratoren
und Wissenschaftlerinnen unterschiedlicher Fachrichtungen. Die Recherche
sei oft wie das Zusammensetzen eines Puzzles, wie Mecke sagt. So haben
zum Beispiel erst die anthropologischen Untersuchungen ergeben, dass es
sich bei den in der Urne enthaltenen verbrannten Knochen, dem
sogenannten Leichenbrand, um die Überreste eines etwa 30 Jahre alten
Mannes handelte, so Mecke. Mit solchen Erkenntnissen, die sich aus
mehreren Untersuchungen zum Objekt ergeben, können Forschungsprojekte
entstehen, aus denen sich wiederum Examensarbeiten, Sonder- oder
Dauerausstellungen ergeben. "Hier bei uns im Speicher finden Studierende
sehr gute Arbeitsbedingungen und bei der Größe unseres Archivs bestimmt
auch das entsprechende Fundmaterial vor, das sie brauchen", sagt die
Archivleiterin.
Trotz der großen Fülle an Funden im Zentralarchiv wächst die Sammlung
stetig weiter. Vor allem der Anteil an archäologischen Objekten aus
mittelalterlichem und neuzeitlichem Kontext sei hier bemerkenswert, wie
Mecke feststellt. "Das liegt wohl auch an den neuen Arbeitsbereichen,
die mit der Archäologie der Moderne entstehen. In den vergangenen
Monaten sind große Fundmengen von Fundplätzen des Zweiten Weltkriegs,
etwa Kriegsgefangenenlagern, zu uns gekommen", so Mecke. "Aber auch die
Industriearchäologie und mittelalterliche Töpfereibezirke liefern große
Mengen an Fundmaterial, darunter oft ganz neue und ungewohnte Objekte
und Materialien wie zum Beispiel die Reste eines Stahlwerks aus der
Frühzeit der Industrialisierung." All diese Funde erfassen die
Archivleiterin und ihre Kollegen in verschiedenen Datenbanken, mithilfe
denen es möglich ist, nach bestimmten Objekten zu forschen und sie dann
beispielsweise in Ausstellungen zu präsentieren. "Vielleicht wird auch
die Nienburger Terrine demnächst einmal Teil einer Ausstellung", sagt
Mecke.
Wie das Zusammensetzen eines Puzzles
LWL-Depots und ihre verborgenen Schätze - Die Nienburger Henkelterrine