München - (ots) - Es ist ein Novum im Laufe einer langen Geschichte: Ihre Anfänge nahm die Konferenz bereits vor 35 Jahren. Seitdem hat sich viel in der Behandlung getan: In den 1980ern kam eine HIV-Infektion im Grunde einem Todesurteil gleich. Der US-Amerikaner Tez Anderson hat - trotz Diagnose im Jahr 1986 - überlebt. "Drei Jahrzehnte später ist mein Leben erfüllt mit einem Zweck und einem Sinn." Als Gründer der Aktivistengruppe "Let´s Kick ASS" klärt er heute über das "AIDS Survivor Syndrome", unter dem Langzeitüberlebende leiden, auf. Ein Aspekt davon: ein Schuldgefühl - weil man selbst überlebt hat und so viele andere nicht.
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"Mitte der 1980er Jahre glich San Francisco einem Kriegsschauplatz. Junge Männer starben sehr schnell", erinnert sich Tez Anderson in einem Beitrag für den amerikanischen Pharmaverband PhRMA. Sah jemand in der einen Woche noch gesund aus, fand man nur wenige Zeit später seine Traueranzeige in den regionalen Zeitungen. "Über die Jahre verlor ich den Überblick, wie viele Freunde an AIDS starben; es waren gut mehrere Hunderte." Im Alter von 26 Jahren wurde auch bei Anderson HIV diagnostiziert. "Bei jeder Beerdigung, beim Lesen jeder Traueranzeige, dachte ich: Ich bin der nächste".
Doch er überlebte. Und überlebte. Und überlebte. Monat für Monat. Jahr für Jahr. "Über Jahrzehnte stand ich mit einem Fuß im Grab". Der Tod war ein ständiger Begleiter. Sein Leben verdankt er der Innovation, sagt er. Er nahm an einer Studie mit dem ersten von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA zugelassenen HIV-Medikament teil - "einer der Gründe, warum ich heute am Leben bin". Die Klasse der nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) ab 1987 war ein erster Schritt - doch nach wie vor starben zahlreiche Menschen an dem Virus.
Den großen Durchbruch stellte Mitte der 1990er Jahre die Einführung der hochaktiven antiretroviralen Therapie (HAART) dar: In der Folge sank die Zahl der Todesfälle sowie die Krankheitslast deutlich. Seitdem hat sich dank weiterer Forschung viel getan: Es stehen verschiedene Medikamente zur Verfügung - einige von ihnen sind Kombinationstherapien, die aus nur einer Tablette am Tag bestehen. Die modernen Mittel sind nicht nur hochwirksam, sondern auch gut verträglich - und bedeuten ein Plus an Lebensqualität. Inzwischen gibt es mit der Präexpositionsprophylaxe (PrEP) sogar Arzneimittel, mit der sich HIV-negative Menschen vor einer Ansteckung schützen können.
"In den 80ern, als ich erfuhr, dass ich HIV habe, rechnete ich damit, nur noch ein paar wenige Monate zu leben. Bekäme ich heute als 20-Jähriger die Diagnose, könnte ich davon ausgehen, 70 Jahre und älter zu werden", so Anderson. Die Deutsche Aidshilfe bestätigt: "Wer rechtzeitig mit einer HIV-Therapie beginnt, hat gute Chancen auf eine normale Lebenserwartung bei guter Lebensqualität."
Das Trauma der HIV-Langzeitüberlebenden
Über drei Jahrzehnte ist es nun her, dass bei Tez Anderson die Diagnose gestellt wurde. "Ich bin immer noch da. In der Folgezeit der frühen AIDS-Pandemie zu leben, war psychisch und körperlich traumatisierend. Viele 'survivors' leben mit der Schuld, dass wir überlebt haben, während so viele unserer geliebten Menschen und unserer Community starben." Auch darüber hinaus hat die Situation bei den Betroffenen tiefe Spuren hinterlassen. In einem Interview für das "magazin.hiv" der Aidshilfe erklärt der Aktivist: "Ich gehöre zu denen, die über Jahrzehnte hinweg ihr Sterben und nicht ihr Leben geplant haben." Ihn überfiel irgendwann "eine Art Midlife-Crisis": "Was, wenn ich am Ende siebzig werde? Darauf bin ich doch gar nicht vorbereitet! Ich habe keine Rentenansprüche, keine Ersparnisse". Ihn verfolgten Alpträume, er litt an Depressionen, war verängstigt. Als er begriff, wie das alles mit seiner HIV-Erkrankung zusammenhing, gab er dem Ganzen einen Namen: das "AIDS Survivor Syndrome" (ASS). Gemeint ist die "Erkenntnis, dass es genauso furchteinflößend ist mit HIV alt zu werden wie die Aussicht zu haben jung zu sterben", schreibt er im PhRMA-Beitrag.
In seiner 2013 gegründeten Organisation "Let´s kick ASS" finden HIV-Langzeitüberlebende gegenseitige Unterstützung. Auf der Webseite heißt es über die "survivors": "Was wir in den frühen Jahren der Epidemie durchlebt haben und mit was wir nun - als erste Generation, die mit HIV alt wird - konfrontiert sind, ist der Stoff, aus dem Helden sind, die Definition von Mut". Als Symptome von ASS werden u.a. Depressionen, Selbstmordneigung, Isolation und selbstzerstörerisches Verhalten genannt. "Mit HIV alt zu werden: Das gehört zu den schwierigsten Sachen, die ich je erlebt habe. Aber es hat mir ein Gefühl von Tiefe und Empathie gegeben, das ich auf keine andere Art und Weise erlangt hätte", zeigt sich Anderson versöhnlich.
In weitere Durchbrüche im Kampf gegen HIV investieren
HIV ist noch nicht besiegt. Ein Heilmittel gibt es nicht - und auch keinen Impfstoff. Laut eines Berichts von PhRMA sind momentan fast 260 Vakzine gegen verschiedene Erkrankungen in Entwicklung - darunter einige Kandidaten gegen HIV. Die Hoffnung geben die Forscher weltweit - auch nach all der Zeit - nicht auf. Sorgen macht es Anderson, wenn politische Entscheidungsträger über Sparmaßnahmen nachdenken, die zukünftige Investitionen blockieren könnten. "Wir hören oft, dass Politiker viel über Kostenreduzierung sprechen - aber ich denke nicht, dass sie dem Ganzen auf den Grund gehen und fragen, zu welchem Preis das geschieht". Der Aktivist wünscht sich, dass sich seine Geschichte - eine Geschichte des Verlusts und des Wiedererlangens von Hoffnung - tausend- und millionenfach wiederholt. Die Voraussetzung: Investitionen in Forschung und Entwicklung.
PHARMA FAKTEN ist eine Initiative des Pharma Fakten e.V., in dem 15 Unternehmen und ein Verband aus der Arzneimittel-Branche organisiert sind. Kern der Initiative ist die Online-Plattform www.pharma-fakten.de, an der eine eigenständige Redaktion kontinuierlich arbeitet. Pharma Fakten berichtet seit 2014 regelmäßig über Gesundheitsthemen. Schwerpunkte sind die Forschung und Entwicklung neuer Medikamente in den verschiedensten Indikationen sowie gesundheitspolitische und ökonomische Hintergründe.