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Wenn die Meise singt und nicht das Niveau

Wann haben Sie das Letzte mal gehört? Und wann haben Sie das letzte Mal genossen, dass Sie hören? Wenn Ihnen an dieser Stelle nur Antworten einfallen, die Ihnen selbst nicht gefallen, hätte ich da eine Idee…

Ich höre die Wagen im Hintergrund vorbeisausen. Das unbeschreibliche Rauschen eines modernen Fahrzeugs, dass sich durch die pneumatischen Kräfte der Luft kämpft. Und noch eines. Und noch eines.


 

Aber sie schaffen es nicht, auch nicht alle zusammen, dass die Meise im Busch unter mir, ihre Bemühungen einstellt, da sie keine Chance hat, gegen die selbst digital gedrosselte Geräuschkulisse übertüncht zu werden. Morgens, um kurz nach halb fünf, wenn ich mit einem heißen Kaffee und einer dampfenden Selbstgedrehten im Fenster sitze und beiwohne, wie der Tag die Nachtkristalle vom Himmel giert, gehört ihr meine ganze Aufmerksamkeit. Erschallt ihr Gesang, zumindest in meinen Ohren, weit über die „Audiwellen“ der Autobahnanbindung hinweg.


 

Irgendwo, so scheint es, muss sich doch einer finden lassen, der die Einsamkeit und Leidenschaft in meiner Stimme wahrnimmt, könnte sich die Meise denken. Über den Tag hinweg wird es schwerer für unsere kleine Meise, ihren Minnesang darzubieten, denn Ordnung und Produktivitätssteigerungsgeräte behaupten ihre Vormachtstellung im konstruierten Dasein unserer Realität.


 

Ich wollte das irgendwann nicht mehr. Deshalb hab ich vor knapp zwei Wochen den Stecker gezogen. Computer nur noch zum Schreiben und Lesen und sonst keine Berieselung mehr. Kein Youtube für zwischendurch, Traumfrau zum Einschlafen oder Musik zum Abschalten. Nichts. Der Rechner wird zum weiteren Utensil in meinem Bücherregal. Ich kultiviere seine Kernkompetenz des enormen Wissenspeichers auf sein Maximum, das von meinem Geist nie beherrscht werden könnte, aber zukünftig beschränke ich meinen Geist mit Dingen, die er sich selbst erschließen muss und demzufolge auch verstehen kann.




Keine „fünf-Minuten-Clicks“ mit Infos für den Smalltalk oder nackte Haut an der Côte d'Azur zur Beflügelung der Phantasie. Ich habe genug für sieben Leben Phantasieinput gesammelt, wird Zeit, dass ich dem angehäuften Potential die Möglichkeit zur Entfaltung gebe. Und damit ich über diesen medialen „Underkill“ nicht völlig ausraste, habe ich mir gleichzeitig jeglichen Zucker und Alkohol, für obsolet erklärt.


Und, was soll ich sagen….


 

Die Meise singt und nicht das Niveau. Der Sommer flutet meinen Geist und nicht das Netz.


Aber jetzt muss ich aufhören. Gleich verstummen die Motoren und die Nacht holt sich zurück, was ihr wenigstens für ein paar Stunden zusteht.


 

Zigaretten mögen schädlich sein, aber ihre nikotingewordenen Luftschlösser laden wie der unwiderstehliche Blick einer anmutigen Lady zum Träumen ein.


 Bild: Adolf Ulf Muenstermann