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Mehr gesetzlicher Schutz für Tiere

Rede der Bundesministerin Julia Klöckner zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Tierwohls in Tierhaltungsanlagen.


Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eines vorweg: Herr Busen, ich habe Sie nicht so oft im Agrarausschuss gesehen. Das erklärt auch, warum Sie Tierwohlabgabe, Tierwohlkennzeichen, Freiwilligkeit und Nichtfreiwilligkeit so durcheinandergeworfen haben.

Ich glaube, es ist schon wichtig, dass man das ein bisschen aufklärt.

Verehrte Frau Künast, Sie sagen, dass der vzbv (Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.) ausgestiegen sei. Auch das ist falsch. Der vzbv ist die ganze Zeit dabei gewesen. Nur bei dem Thema Tierwohlabgabe, die Sie ja unterstützen, hat er Nein gesagt. Ich glaube, wir sollten da ein bisschen ehrlicher sein.

Also, wenn Sie hier Wert darauf legen, dass man ordentlich arbeitet, dann würde ich das gerne auch von Ihnen verlangen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 90 Prozent unserer Bevölkerung sind Fleischesser. Das ist keine Nische. Für dieses Verbraucherbedürfnis halten unsere Landwirte Nutztiere. Es ist ihr Beruf, sie leben davon, und es ist ein Beruf, der Sachkenntnis, der Befähigung, der hohe Investitionen, viel Einsatz und auch Zeit erfordert. Das ist kein Beruf, der der Work-Life-Balance entspricht. Er hat damit wenig zu tun. Auch deshalb nimmt die Zahl der tierhaltenden Betriebe in Deutschland kontinuierlich ab. Auflagen, steigende Kosten, harter internationaler Wettbewerb kommen hinzu.

Die Tierhalter sind in dieser Debatte das eine Ende, wir Verbraucher sind das andere Ende. Der Großteil der Verbraucher sagt: Wir wollen besseres Fleisch mit mehr Tier- wohl. Tiere werden geschlachtet; dann sollen sie wenigstens ein gutes, ein besseres Leben gehabt haben. Diese Forderung unterstütze ich und unterstützen wahrscheinlich alle hier in diesem Haus. Es geht um Respekt den Tieren gegenüber, aber auch den Tierhaltern, statt ihnen, wie es in Mode gekommen ist, pauschal immer das Schlimmste zu unterstellen.

Aber für mehr Tierwohl braucht es bessere Preise an der Theke: Mehr Tierwohl im Stall, bessere Preise an der Theke. Fleisch soll kein Luxusprodukt für Reiche werden, aber Fleisch soll auch keine Alltagsramschware sein.

Deshalb, liebe Kollegen: Wenn Fleisch als Lockmittel herhalten muss, um Käufer in den Laden zu bekommen, dann halte ich das ethisch für bedenklich; denn Billigpreise bei Fleisch und Wurst geben niemals den wahren Wert wieder. "Kracher Hammerpreise", "noch billiger", "Preise in den Keller" – so flattert die Werbung nahezu wöchentlich mit den Prospekten in den Briefkasten. Ich halte diese Art von Werbung aus ethischen Gründen nicht für in Ordnung.

Herr Dr. Hocker, danke für Ihre Frage, die ich für sehr berechtigt halte. Wir brauchen eine Art Generationenvertrag, wenn es um den Umbau der Tierhaltung geht. Es geht hier um einen Umbau der Tierhaltung in Deutschland, der erreicht, dass auch darüber geredet wird und die Erkenntnis deutlich gemacht wird: Wir sind in einem großen Markt und in einem Wettbewerb, und wer mehr für das Tierwohl tun will, der erweist dem Tierwohl einen Bärendienst, wenn er Tierhalter aus dem Land treibt und wir dann Fleisch importieren, über dessen Standards wir überhaupt nicht mitentscheiden können. Insofern wird es bei allen Wünschen für mehr Tierwohl, die man aus dem Bauchgefühl hat, wichtig sein, dass Anspruch und Umsetzung auch zusammenpassen, das heißt, dass entweder die Ansprüche, die wir an die Tierhaltung im Stall haben, an der Theke bezahlt werden oder zwischendrin mit staatlichen Förderungen geholfen wird, dass eine Landwirtsfamilie davon leben kann. Ansonsten werden die Tierhalter hier aufhören, und wir werden nicht alle Vegetarier oder Veganer werden.

Deshalb gebe ich den Landwirten eine Zusage. Sie brauchen eine Zusage; da bin ich absolut bei Ihnen. Denn wer heute einen Stall umbaut, nicht um mehr Tiere zu halten, sondern um für die Tiere, die er hat, mehr Platz, Außenluft, Frischluft und Bewegungsfreiheit zu haben, braucht nicht nur die gesetzlichen Grundlagen dazu; er muss auch Zielkonflikte, wenn es um die TA Luft oder das Baugesetzbuch geht, von uns als Politikern klar im Sinne des Tierwohls gelöst bekommen. Er benötigt aber dann auch eine gewisse gesellschaftliche Friedenspflicht, wenn er nämlich Hunderttausende, eine Million Euro oder noch mehr investiert. Er bekommt einen Kredit überhaupt nicht, wenn nicht klar ist, dass er auch für eine Zeit lang die Zusage hat, dass er planbar wirtschaften kann.

Deshalb meine ich: Ja, die breite Beteiligung bei dieser Kommission, die ich eingesetzt habe, hat genau diesen Grund gehabt, dass wir eine gesellschaftliche Akzeptanz und einen Konsens brauchen, der überparteilich und überfraktionell sein soll. Deshalb brauchen Landwirte Planungssicherheit.

Ich war bei der Frage der Preise. Wenn Fleisch als Ramschware genutzt wird, um am Ende Verbraucher in den Laden zu locken und mischkalkulatorisch das Ganze auf den Waschmittelpreis draufzuschlagen, halte ich das für unanständig. Deshalb werden wir prüfen, ob wir juristisch gegen diese Dumpingpreise bei Lockangeboten von Fleisch vorgehen können. Denn es kann doch niemand allen Ernstes glauben, dass für diese paar Cent ein Tier gut gelebt hat, ein Bauer ordentlich kalkuliert hat und ein Schlachthofarbeiter anständig bezahlt werden konnte.

Mir geht es um regionale Erzeugung und um die Erhöhung von Tierwohlstandards. Genau mit dieser Zukunftsfrage, wie wir die Nutztierhaltung in Deutschland tierwohlgerecht so umbauen, dass Landwirte davon auch leben können, hat sich die Borchert-Kommission beschäftigt, die ich in Auftrag gegeben habe. Ich danke Jochen Borchert sehr, sehr herzlich. Er ist aktiv. Es werden jetzt gerade – Frau Mittag, das wissen Sie – die anderen Kriterien erarbeitet. Ich halte es für wichtig, dass wir sie wieder im Konsens für die anderen Tierarten erarbeiten und wir nicht jetzt einzeln vorpreschen. Sie wissen, die Coronazeit hat auch einige vulnerable Mitglieder dieser Gruppe dazu gezwungen, etwas zurückzufahren. Ihre Arbeit fährt jetzt wieder hoch.

Deshalb: Danke an Jochen Borchert, an die ganze Kommission; aber ich will auch Ihnen, den Mitgliedern dieses Parlamentes, danken. Ich habe alle Anträge durch- gelesen. Ich sehe in diesen Anträgen Rückenwind für die Borchert-Kommission und auch den Willen, dass wir partei-, dass wir fraktionsübergreifend einen Konsens herstellen, um Tierhaltung in Deutschland zu halten, aber das Tierwohl schwungvoll zu verbessern und vor allen Dingen unsere Ställe nachhaltig umzubauen.

Dafür, sagen wir, brauchen wir einen Pakt vom Stall bis zum Teller; den müssen wir schmieden. Aber wir fangen nicht erst heute an, uns mit der Frage des Tierwohls zu befassen, sondern Sie wissen: Ich habe mich auch für 300 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket eingesetzt. Soeben ist im Bundesrat die Verordnung zur Nutztierhaltung in einem breiten Konsens angenommen worden. Sie hat eines erreicht: mehr Tierwohl, mehr Tierschutz. Wir helfen den Tierhaltern mit richtig viel Geld des Bundes, dass sie schnell die Ställe umbauen können, dass wir Tierhaltung hier halten, aber den Anspruch erhöhen und vor allen Dingen Gas geben, um zu zeigen, dass Ökologie, Ökonomie und die soziale Frage zusammen- passen. Da sind wir Verbraucher gefragt, da sind Tierhalter gefragt, und da ist die gesamte Kette gefragt. Da kann sich keiner raushalten.

Deshalb, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen: Am Ende muss der Verbraucher erkennen können, was für ein Fleisch er an der Theke kauft. Deshalb haben wir für ein Tierwohlkennzeichen klare Kriterien entwickelt. Im Übrigen sind die auch die Grundlage für die Empfehlungen der Borchert-Kommission. Diese Kriterien für ein Tierwohlkennzeichen sind so wichtig, dass man an der Ladentheke auch dokumentieren kann, wie wichtig einem am Ende mehr Tierwohl ist. Für unsere europäische Ratspräsidentschaft habe ich das Thema eines europäischen Tierwohlkennzeichens auf die Tagesordnung gesetzt. Das geschah zum ersten Mal, das gab es so noch nie.

In einem halben Jahr werden wir auf europäischer Ebene kein Tierwohlkennzeichen verabschiedet haben, aber wir stoßen es an. Ich halte es für wichtig, nicht nur national, sondern wirklich europäisch zu denken. Dazu gehören dann auch Transportzeiten, dazu gehört auch die Frage der Schlachtung und dass wir eine Dezentralität brauchen – Frau Tackmann sagte, wir brauchen sie stärker –, auch in der Schlachtbranche. Das halte ich für notwendig, das halte ich für wichtig. Deshalb will ich heute noch einmal klar und deutlich sagen: Fleisch soll kein Luxusprodukt sein. Aber wenn der Landwirt für sein Tier mehr Geld bekommt, dann kann er auch gelassen sein, wenn es darum geht, ob er weniger Tiere hält. So wird ein Schuh daraus.

Deshalb ist diese Borchert-Kommission wichtig, zusammen mit allen anderen Vorschlägen und Aktivitäten, die wir angehen, das heißt: Förderung bei der Digitalisierung. Wir messen das Tierwohl und messen die Bewegungsprofile von Tieren. Wir entwickeln die Ställe der Zukunft. Wir geben 40 Millionen Euro aus. Dieses Geld investieren wir in die Ställe der Zukunft. Wir wollen, dass am Ende das Tierwohl, der Respekt vor dem Tier, aber auch der Respekt vor dem Tierhalter und am Schluss der Respekt vor dem Verbraucher, der selbst entscheidet, was er verzehrt, zusammen gedacht werden und nicht die einzelnen Gruppen gegeneinander ausgespielt werden.

Dafür legt die Union die Grundlage, zusammen mit der SPD, und ich lade Sie alle, alle Fraktionen ein – ich werde auf Sie zukommen –, diesen gemeinsamen gesellschaftlichen Konsens zu nutzen. Begonnen haben wir lange vor den Skandalen und den Schlagzeilen in der Schlachtbranche. Aber wir haben jetzt das Momentum, aus den Anfängen einen Trend zu machen.

Herzlichen Dank.



Quelle: Deutscher Bundestag