Zugeständnisse an die sogenannten sparsamen EU-Länder sollen einen Durchbruch im Gipfel-Streit um den Corona-Hilfsfonds bringen. EU-Ratspräsident Charles Michel legte den Staats- und Regierungschefs am Samstag einen neuen Vorschlag vor, der vor allem den Niederlanden entgegenkommt. Nach AFP-Informationen sind nun weniger Hilfen in Form von Zuschüssen für von der Pandemie getroffene Mitgliedstaaten vorgesehen und die Auszahlung der Mittel könnte auf Druck eines Mitgliedstaats gestoppt werden.
Der erste Tag des Gipfels in Brüssel war am Freitag nach 14-stündigen Beratungen ohne Annäherung zwischen den Mitgliedstaaten zu Ende gegangen. Die "sparsamen Vier" - die Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden - sowie auch Finnland hatten sich Diplomaten zufolge weiter gegen Pläne gestemmt, 500 der 750 Milliarden Euro an Corona-Hilfen als nicht rückzahlbare Zuschüsse auszugeben.
In Michels neuem Vorschlag wurde dieser Anteil nun auf 450 Milliarden Euro gesenkt. Dafür wird der Kreditanteil von 250 auf 300 Milliarden Euro angehoben, sodass die Gesamtsumme gleich bleibt.
Den "Sparsamen" geht dies Diplomaten zufolge nicht weit genug - sie fordern noch weniger Zuschüsse und ein insgesamt kleineres Volumen des Hilfsfonds. "Hier geht es jetzt ans Eingemachte", sagte ein Ländervertreter.
Auf Druck des niederländischen Regierungschefs Mark Rutte ist in Michels Kompromissvorschlag außerdem eine "Super-Notbremse" vorgesehen: Einer der Mitgliedstaaten könnte demnach die Auszahlung an einzelne Empfängerländer vorerst stoppen. Ob dies de facto ein Veto eines Mitgliedstaates bedeuten könnte, blieb unklar.
Ein niederländischer Diplomat bezeichnete den Vorschlag als "ernsthaften Schritt in die richtige Richtung". Aus spanischen Regierungskreisen hieß es allerdings, dass ein derartiger Kontrollmechanismus "eine Hürde" darstelle.
Ein weiteres Zugeständnis an das Lager der nördlichen EU-Länder ist eine leichte Anhebung der Rabatte, die einige Nettozahlerländer auf ihre EU-Beiträge erhalten. Nach Michels Vorschlag würden Österreich, Schweden und Dänemark profitieren. Polen, Tschechien und später auch Frankreich hatten am Freitag noch das Ende dieser Nachlässe gefordert.
Es gebe "Geizkragen" unter den EU-Staaten, sagte Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki polnischen Medien zufolge. Er sah weiterhin "eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass bis Sonntag eine endgültige Entscheidung nicht erreicht wird".
Die Beratungen in großer Runde wurden Samstagmittag erneut unterbrochen, um Gespräche in kleineren Runden zu führen. Insgesamt geht es um ein beispielloses Finanzpaket im Umfang von 1,8 Billionen Euro. Neben dem Corona-Hilfsfonds soll auch eine Einigung zum nächsten siebenjährigen EU-Finanzrahmen der EU für die Zeit von 2021 bis 2027 getroffen werden. Für diesen ist bisher ein Volumen von 1074,3 Milliarden Euro vorgesehen.
Ein weiter offener Streitpunkt ist das Thema Rechtsstaatlichkeit. Im nächsten EU-Haushalt soll es die Möglichkeit geben, Mitgliedstaaten EU-Gelder bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit zu kürzen. Ungarn und Polen lehnen dies strikt ab, der ungarische Regierungschef Viktor Orban drohte offen mit einem Veto gegen das gesamte Finanzpaket.
Michels neuer Vorschlag blieb in dieser Hinsicht unverändert. Demnach wäre eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten nötig, um EU-Mittel wegen rechtsstaatlicher Probleme in einem Land zu kürzen. Dies gilt als hohe Hürde. "Es ist durchaus möglich, dass eine oder mehrere Delegationen daran noch Änderungen fordern", hieß es aus Diplomatenkreisen.
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Peter EßER und Martin TRAUTH / © Agence France-Presse