Die alten Griechen sagten zur Wahrheit „aletheia“ und das bedeutet so viel wie „ans Licht bringen“. Ans Licht bringen, aha. Das erinnert stark an die Strömung der Aufklärung im 18 Jahrhundert, denn „Aufklärung“ war zur damaligen Zeit noch nicht das, was es heute war. Erst 1863 wurde dieser Begriff für die Epoche synonym gesetzt. 1730, als das Zeitalter der analytischen Denker wie Kant (1724 – 19804) begann, stand „Aufkläung“ nämlich noch für die Auflockerung am Himmel, das, was unter anderem die Briten schon wesentlich vor uns mit dem Wort „enlighening“ beschrieben – Erhellung, also der Moment, wo die Sonne sich ihren Weg durch die Wolken bahnt.
Und Wahrheit, um auf eingangs gestellte Frage zurück zu kommen, soll genau das, das Wahre, also das objektiv Wirkliche vom Dunkel befreien. Man könnte auch sagen, dass Wahrheit eine „Ent-täuschung“ ist.
Aber ist das überhaupt möglich, wenn wir doch alle über unsere sinnliche Wahrnehmung limitiert sind? Die meisten Philosophen und würden sagen „nein“. Denn allein der Umstand, dass jedes Tier die Welt schon etwas anders sieht als wir ist ein Indiz dafür, dass das Reale maximal ein Kompromiss aus allen (!!!!) Perzeptionen gemeinsam ist.
Erschwerend hinzu kommt, dass wir alle unsere eigene Wahrheit haben, denn jeder betrachtet die Dinge um sich herum unter der Prämisse, wie das „Jetzt“ von allen Erfahrungen konnotiert wurde. Also je nachdem wann ich wie mit welchen Menschen zu tun hatte, reagiere ich auf die zukünftigen. Ich in diesem Falle schlecht.
Dieser Tatsachenbestand sollte uns Menschen eigentlich demütig mit dem Begriff der Wahrheit umgehen lassen, aber stattdessen machen wir genau das Gegenteil. Wir kultivieren den Umstand, dass die Wahrheit nie einer exakt bestimmen kann, weshalb wir einfach das zur Wahrheit erklären, was wir für wahr oder richtig halten.
Sokrates und Co halfen sich über diesen Tatbestand hinweg, indem sie die Philosophie als Wissenschaft aus der Taufe hoben (wörtlich Platon, der Sokrates als Philosophen beschrieb, aber natürlich hatten auch diese schon Vorläufer wie Thales im eigenen Land und parallel gab es auch philosophische Strömungen in Indien und China, die an dieser stelle des Umfangs halber – ich bitte um Nachsicht- ausgeblendet werden).
Platon beschreibt die Aufgabe des Philosophen in der Selbstreflexion der Selbstreflexion oder einfacher ausgedrückt: All das was ist und sein soll muss sich philosophischen Fragen wie „warum“ stellen – auch die Philosophie selbst. Eine sprachliche Formulierung, die dabei besonders in Bezug auf die tätige Politik benutzt wurde, war „parrhesia“ – die Redefreiheit, also das Sprechen als Handlungsakt mit Folgen. Und wenn das mindestens zwei Personen so miteinander machen, dass sie nicht nur das selbst formulierte, sondern auch das entgegnete ernst nehmen, entsteht eine Diskussion, die aus konstruktiven Argumenten besteht und an dessen Ende man hoffentlich zu einem Kompromiss gelangt. Sie sehen, selbst wenn die Wahrheit nicht so kompliziert wäre, wie sie eh schon ist, bedarf es besonderer Vorsicht im Umgang mit dieser Vokabel, vom Inhalt mal ganz abgesehen.
Das Titelbild zeigt übrigens einen Ausschnitt aus dem Mitschnitt einer Vorlesung von Michel Fouceault, in dem er sich genau mit diesem Thema beschäftigt. der noch viel interessanter ist als meine Ausführung, allerdings auch wesentlich komplizierter.
Aber eine seiner wesentlichen Aussagen in diesen letzten Vorlesungen aus dem Jahre 1983 eignet sich aber hervorragend als Schlusswort: Gnothi seauton* – der Sorge um sich selbst – natürlich ohne dabei die Wahrheit zu missbrauchen.
*Die Übersetzung bei Wikipedia „erkenne dich selbst“ ist übrigens falsch, einer der wesentlichen Punkte in der Arbeit von Michel Fouceault. Aber das ist wieder ein anderes Thema.
Bild: Adolf Ulf Muenstermann