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Belarus unterdrückt freie Berichterstattung

Während des Wahlkampfs wurden mehr als 40 Medienschaffende festgenommen, die über Demonstrationen und Kundgebungen von Kandidatinnen und Kandidaten der Opposition berichteten.

Reporter ohne Grenzen - (RSF) -  ruft die Behörden in Belarus auf, eine freie Berichterstattung über die Präsidentenwahl am kommenden Sonntag (9.8.) zuzulassen und die zahlreichen Übergriffe der Polizei gegen Journalistinnen und Journalisten in den vergangenen Wochen zu verfolgen. Während des Wahlkampfs wurden mehr als 40 Medienschaffende festgenommen, die über Demonstrationen und Kundgebungen von Kandidatinnen und Kandidaten der Opposition berichteten. Auch die Arbeit ausländischer Medien wird auf Anweisung von Präsident Alexander Lukaschenko behindert.

„Das massive Vorgehen der Behörden in Belarus gegen Journalistinnen und Journalisten ist ein durchsichtiger Versuch, unabhängige Berichte über das Aufbegehren der Menschen gegen eine Wiederwahl von Präsident Lukaschenko zu verhindern“, sagte RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger. „Diese illegale Behinderung der Arbeit von Medienschaffenden muss unabhängig untersucht und die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.“ Dies gelte umso mehr, da die Gesetze in Belarus die „rechtmäßige Berufsausübung“ von Journalistinnen und Journalisten schützten. Gloger weiter: „Belarus ist als Mitglied der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa verpflichtet sicherzustellen, dass auch unabhängige und ausländische Medien ungehindert und gefahrlos über die Wahl berichten können.“

Unabhängige Medien werden in Belarus ohnehin permanent in ihrer Arbeit behindert und in jüngster Zeit auch für unabhängige Berichte über die Coronavirus-Pandemie verfolgt. Seit Beginn des Wahlkampfs ist eine systematische Kampagne gegen Berichte über die Aktivitäten der Opposition hinzugekommen, die in diesem Jahr ungewöhnlich selbstbewusst auftritt. Präsident Lukaschenko regiert Belarus seit 1994 diktatorisch. In seiner jährlichen Rede an die Nation sagte er am Dienstag (4.8.), die entscheidende Schlacht werde auf dem Gebiet der Information geschlagen. Insbesondere „soziale Netzwerke und Telegram-Kanäle“ beschuldigte er, sie verbreiteten „Unsinn und schmutzige, schamlose Lügen“.

Mehrere Verhaftungswellen seit Mai

Am vergangenen Freitag (31.7.) wurden nach Angaben der Belarussischen Journalistenvereinigung (BAJ), der Partnerorganisation von RSF vor Ort, erneut sechs Medienschaffende festgenommen: Bei drei separaten Vorfällen in den Städten Maladetschna und Lida nahm die Polizei Reporterinnen und Reporter des Exil-Fernsehsenders Belsat TV fest – vier von ihnen, während sie Kundgebungen einer Oppositionskandidatin live per Internet übertrugen. 

Bei der bislang größten Verhaftungswelle wurden am 14. und 15. Juli mindestens 16 Journalistinnen und Journalisten festgenommen. Die Polizei ging gegen sie vor, als sie über spontane Demonstrationen in mehreren Städten für zwei Oppositionelle berichteten, deren Kandidaturen für die Präsidentenwahl die zentrale Wahlkommission gerade abgelehnt hatte. Der Journalist Anton Trafimowitsch wurde in der Hauptstadt Minsk während einer Live-Übertragung für Radio Swaboda festgenommen, den belarussischen Dienst des US-Auslandssenders Radio Free Europe/Radio Liberty. Dabei gingen Polizeikräfte in Zivil so rabiat gegen den Journalisten vor, dass sie ihm die Nase brachen.

Danila Palianski, ein Reporter eines lokalen Nachrichtenportals in Brest, wurde zwei Tage lang festgehalten und mit einer Geldstrafe wegen „Teilnahme an einer illegalen Demonstration“ belegt, weil er Fotos von einer Protestaktion gemacht hatte. In Homjel hielt die Polizei zwei Reporterinnen und einen Reporter des lokalen Nachrichtenportals Silnje Nowosti, Nadseja Pruhsynskaja, Maryna Drabyschewskaja und Juri Hluschakow, mehr als drei Stunden lang fest, ohne sie über den Grund dafür aufzuklären. In Minsk wurden unter anderem der BBC-Kameramann Andrew Smythe, Katsjarina Andrejewa und Ihar Illjasch von Belsat TV sowie Aleksej Sudnikau und Jusewalad Sarubin vom unabhängigen Nachrichtenportal Tut.by festgenommen und teils stundenlang festgehalten.

Nach einer ersten Verhaftungswelle Anfang Mai waren vier Medienschaffende zu Arreststrafen zwischen zehn und 21 Tagen wegen „Teilnahme an einer ungenehmigten Demonstration“ verurteilt worden, nachdem sie über Demonstrationen des Lukaschenko-kritischen Bloggers und Aktivisten Sergej Tichanowski in mehreren Städten berichtet hatten. Bei einer zweiten Verhaftungswelle am 19. und 20. Juni – unmittelbar nach dem Ende der Registrierungsfrist für Kandidatinnen und Kandidaten – wurden Reporterinnen und Reporter für Medien wie Reuters, Radio Swaboda, den Exil-Radiosender Euroradio, die unabhängigen Nachrichtenportale Tut.by und Onliner.by sowie die Lokalzeitung Hanzawitschi Tschas festgenommen.

200 Medienschaffende protestieren mit offenem Brief

Aus Protest gegen das harte Vorgehen der Polizei forderten mehr als 200 Journalistinnen und Journalisten am 21. Juli in einem offenen Brief an den Generalstaatsanwalt, den Innen- und den Informationsminister sowie die Präsidentin der zweiten Parlamentskammer ein Ende ihrer Verfolgung. Der Generalstaatsanwalt erklärte drei Tage später, er werde keine Ermittlungen wegen Behinderung der Berichterstattung einleiten.

Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des offenen Briefes hatten auf Artikel 198 des belarussischen Strafgesetzbuches verwiesen. Dieser verbietet es unter Androhung von Geld-, Disziplinar- und Haftstrafen, die „rechtmäßige Berufsausübung“ von Journalistinnen und Journalisten zum Beispiel durch die Ausübung oder Androhung von Gewalt zu behindern. 

Lukaschenko fordert Ausweisung ausländischer Medien

Die Repression der belarussischen Behörden richtet sich inzwischen ausdrücklich auch gegen ausländische Medien. Präsident Lukaschenko persönlich beschuldigte ausländische Medien am 23. Juli, sie schürten Proteste und müssten sofort des Landes verwiesen werden, wenn sie sich nicht an die Gesetze hielten. Die Journalistenvereinigung BAJ zählte bis zum vergangenen Freitag (31.7.) 25 Fälle, in denen das Außenministerium über die Anträge ausländischer Journalistinnen und Journalisten auf befristete Akkreditierungen nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist von 20 Tagen entschieden habe.

Justizschikanen gegen unabhängige Medien: Die Staatsmedien in Belarus berichten parteiisch zugunsten Lukaschenkos. Sofern sie die bevorstehende Wahl in den ersten Wochen des Wahlkampfs überhaupt thematisierten, berichteten sie vor allem über die Verlautbarungen des Präsidenten. Dessen Konkurrentinnen und Konkurrenten stellten sie als zerstörerische Kräfte und vom Ausland gesteuerte Marionetten dar.


Unabhängig recherchierende Medien laufen Gefahr, wegen ihrer Berichte über die Opposition belangt zu werden, da sie damit angeblich „Panik schürten“ oder ihrem Land „Schaden zufügten“.  Beispielsweise wurde diese Woche bekannt, dass die Behörden gegen das regionale Online-Magazin Media Polesje ein Verwaltungsverfahren eingeleitet haben, weil es in einem Artikel über die Herkunft einer Oppositionskandidatin ein Zitat einer falschen Person zuschrieb. Dabei hatte das Magazin den Fehler nach einem entsprechenden Hinweis korrigiert und eine Richtigstellung veröffentlicht. 


Im Mai war Media Polesje bereits zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil das Magazin fälschlich über den Tod eines Covid-19-Patienten berichtet hatte – offizielle Angaben zu dem Fall waren wie so oft bei diesem Thema nicht zu bekommen. Präsident Lukaschenko leugnet die Gefahren durch die Coronavirus-Pandemie und lehnt systematische Maßnahmen zu ihrer Eindämmung ab. Gegen unabhängige Berichte über Mängel im Gesundheitssystem geht Belarus hart vor.


Am häufigsten werden Journalistinnen und Journalisten in Belarus allerdings wegen „illegaler Tätigkeit für ein ausländisches Medium“ belangt. Betroffen sind fast ausschließlich Korrespondentinnen und Korrespondenten von Belsat TV, das seit 2007 aus dem benachbarten Polen sendet. Ihnen verweigern die Behörden systematisch Akkreditierungen. Wenn diese Journalistinnen und Journalisten dennoch vor Ort recherchieren, riskieren sie Gerichtsverfahren und empfindliche Geldstrafen. Ähnlich geht es freiberuflichen Medienschaffenden, die die Behörden nicht als Journalistinnen und Journalisten anerkennen.


Belarus steht auf Platz 153 von 180 Ländern auf der Rangliste der Pressefreiheit. Weitere Informationen zur Situation der Journalistinnen und Journalisten dort finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/belarus.