(Gustav Lübcke-Museum) Im Jahr 1820 ordnete der Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. an, das in Kleve angesiedelte Oberlandesgericht nach Hamm zu verlegen. 2020 jährt sich das Ereignis zum zweihundertsten Mal. Das Gustav-Lübcke-Museum zeigt anlässlich des Jubiläums eine in Kooperation mit dem Oberlandesgericht organisierte Ausstellung zu einem bislang kaum beachteten Thema: die Gerichtszeichnung. Bedingt durch das Verbot der Medienberichterstattung aus deutschen Gerichtssälen entstehen bis heute gezeichnete Bilder, die Prozesse nicht nur dokumentieren, sondern die interessierte Öffentlichkeit an den Verhandlungen regelrecht teilnehmen lassen. Auftraggeber für die zumeist kolorierten Zeichnungen sind TV-Anstalten und Zeitungen. Die durch Künstlerhand entstandenen Werke schließen eine Lücke in der medialen Berichterstattung. In der Ausstellung werden Zeichnungen zu verschiedenen prominenten Prozessen, die uns auch heute noch in Erinnerung sind, präsentiert.
Im Mittelpunkt der Schau stehen die Bilder unterschiedlicher Künstlerinnen und Künstler, die während des sogenannten Kachelmann-Prozesses entstanden sind. Die Verhandlungen, in denen Vergewaltigungsvorwürfe gegen den prominenten Wettermoderator erhoben wurden, riefen ein extrem großes Medieninteresse hervor. Neben Blättern von den Gerichtszeichnern Martin Burkhardt, Yann Ubbelohde und Stefan Bachmann wird in der Schau eine interaktive Arbeit des Künstlers Bo Soremsky gezeigt, die den Fortlauf des Prozesses in verschiedenen Bildern dokumentiert.
Doch auch andere Prozesse, die weiten Teilen der Öffentlichkeit noch gegenwärtig sind, können entlang verschiedener Blätter in der Ausstellung nachempfunden werden. So etwa die Prozesse im Fall Harry Wörz. Der Angeklagte, dem vorgeworfen wurde, seine Frau stranguliert zu haben, war viele Jahre zu Unrecht in Haft. Bis heute bewegt sein Schicksal. Nicht minder prominent sind die Verhandlungen rund um das Gladbecker Geiseldrama. Was mit einem Bankraub begann, endete schließlich blutig: drei Menschen starben. Die Sensationsgier der involvierten Journalisten wurde später scharf kritisiert. Eine Anpassung des Pressekodex war die Folge.
Die Kölner Künstlerin Cony Theis hielt in ihren bemerkenswerten Zeichnungen die Eindrücke aus dem Gerichtssaal fest. Von ihr stammen auch zahlreiche Zeichnungen der sogenannten Dutroux-Prozesse, in denen die wohl grausamsten Verbrechen der belgischen Kriminalgeschichte verhandelt wurden. Der Angeklagte hatte Mädchen entführt, vergewaltigt und ermordet. Die Geschehnisse bewegten nicht nur die belgische Öffentlichkeit, sondern die ganze Welt. Cony Theis verarbeitete ihre Eindrücke in einer freien künstlerischen Arbeit, dem Mobile „Justitia“ (siehe Titelbild). In dem beeindruckenden Werk stehen sich Bilder von Opfern und Tätern gegenüber.
Alle Arbeiten, die in der Schau zu sehen sind, transportieren die besondere Stimmung der Gerichtsverhandlungen und lassen uns – auch lange Zeit nach den Prozessen – die besondere Atmosphäre spüren. Die künstlerische Einzigartigkeit von Gerichtszeichnungen, die stets in einem vorgegebenen zeitlichen Rahmen und in angespannter Atmosphäre entstehen, ist in der Ausstellung erlebbar.
Die ursprünglich für den 21. Juni 2020 geplante offizielle Eröffnung der Ausstellung kann leider nicht stattfinden. Trotzdem wird es eine stille Eröffnung zum geplanten Termin geben, so dass die Schau – unter Einhaltung der geltenden Hygiene- und Abstandsregeln – besucht werden kann. Für den 6. September ist vorbehaltlich der behördlichen Freigabe eine kleine Festveranstaltung geplant. Zu diesem Termin wird auch der begleitende Katalog mit Abbildungen aller ausgestellten Exponate vorgestellt werden.
Die Ausstellung "Fotorgrafieren verboten! Die Gerichtszeichnung" ist seit dem 21. Juni 2020 bis zum 3. Januar 2021 täglich im Gustav Lübcke-Museum zu besuchen.
Titelbild:
Das Mobile namens „Justitia“ von der Künstlerin Cony Theis im
Gustav Lübcke Museum. Foto: Gustav Lübcke Museum
Gustav Lübcke-Museum