Angesichts der brutalen Gewalt gegen friedliche Demonstranten in Belarus haben die EU-Außenminister neue Sanktionen gegen die Verantwortlichen in Minsk beschlossen. "Alle waren sich einig, das Verfahren für neue Sanktionen in Gang zu setzen", sagte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn nach einer Videokonferenz am Freitag. Nun soll zunächst eine Namensliste für die Sanktionen erstellt werden. Zahlreiche Demonstranten berichteten nach ihrer Freilassung über Folter und Misshandlungen in der Haft. Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja rief die Bevölkerung zu landesweiten friedlichen Demonstrationen am Wochenende auf. In Minsk legten hunderte Fabrikarbeiter die Arbeit nieder.
Diejenigen, die für die gewaltsame Niederschlagung der Proteste gegen Staatschef Alexander Lukaschenko verantwortlich seien, sollten sanktioniert werden, sagte ein EU-Vertreter. Schwedens Außenministerin Ann Linde erklärte auf Twitter, die EU werde ein "Sanktionsverfahren gegen diejenigen einleiten, die verantwortlich sind für die Gewalt, Festnahmen und Betrug im Zusammenhang mit der Wahl".
Das außerplanmäßige Außenministertreffen war angesichts der Entwicklungen nach der umstrittenen Präsidentenwahl in Belarus kurzfristig anberaumt worden. EU-Vertretern zufolge muss die Namensliste für die Sanktionen später von den Mitgliedstaaten noch abgesegnet werden.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte zuvor gefordert, mit Sanktionen auf die Menschenrechtsverletzungen zu reagieren. Auch die Bundesregierung hatte sich für Sanktionen auf EU-Ebene ausgesprochen und "den Einsatz von brutaler Gewalt gegen friedlich demonstrierende Menschen" verurteilt.
Freigelassene Demonstranten berichteten der Nachrichtenagentur AFP, sie seien mit Stromstößen und glühenden Zigaretten misshandelt worden. Im Gefängnis hätten die Teilnehmer der Proteste weder Wasser noch Essen bekommen. Dutzende Menschen seien in kleinen Zellen zusammengepfercht worden.
"Sie haben mir heftig auf den Kopf geschlagen. Mein Rücken ist mit blauen Flecken übersät von Schlägen mit dem Schlagstock", sagte der 25-jährige Maxim Dowjenko. Nach seinen Worten wurde er festgenommen, obwohl er gar nicht an den Demonstrationen teilgenommen hatte, sondern nur zufällig in der Nähe war.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderte, Beobachter müssten ungehinderten Zugang zu allen Haftanstalten erhalten, alle Festgenommenen müssten freigelassen und die Verantwortlichen für Folter und Misshandlung zur Rechenschaft gezogen werden.
Der seit 26 Jahren autoritär regierende Staatschef Alexander Lukaschenko war von den Behörden seines Landes zum Sieger der Präsidentenwahl vom vergangenen Sonntag erklärt worden. Die Opposition spricht von Wahlbetrug, seit Tagen fordern zehntausende Demonstranten den Rücktritt Lukaschenkos. Die Polizei ging gewaltsam gegen die Demonstranten vor. Mindestens 6700 Menschen wurden festgenommen, zwei Demonstranten kamen ums Leben, Dutzende wurden verletzt. Bis Freitag wurden nach Angaben des Innenministeriums mehr als 2000 Festgenommene wieder freigelassen.
Der belarussische Außenminister Wladimir Makei versicherte derweil, sein Land sei zu "konstruktiven und objektiven" Gesprächen mit dem Ausland über die Ereignisse im Land bereit.
Die aus Angst vor Repressalien nach Litauen geflohene Oppositionskandidatin Tichanowskaja rief ihre Landsleute zu landesweiten friedlichen Demonstrationen am Wochenende auf. "Die Belarussen werden nie wieder mit der bisherigen Regierung leben wollen", sagte sie in einer Videoansprache. Die Mehrheit der Menschen im Land glaube nicht an den offiziell verkündeten Sieg von Staatschef Lukaschenko.
Die Proteste gingen auch am Freitag weiter. Die Arbeiter des Minsker Traktorenwerks MTZ und der Autofabrik MAZ legten ihre Arbeit nieder und solidarisierten sich bei Kundgebungen in Minsk mit den Demonstranten. Auch ein Unternehmerverband schloss sich den Protesten an.
Bei einem vom Fernsehen übertragenen Treffen mit Vertretern der Bauindustrie warnte Lukaschenko vor solchen Streiks. Diese seien ein "gefundenes Fressen" für ausländische Konkurrenten, sagte er. Bei dem Auftritt wies er auch Gerüchte zurück, dass er so wie Tichanowskaja außer Landes geflohen sei. "Ich bin am Leben und nicht im Ausland", sagte der 65-Jährige.
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