stadt40: Wofür stehen die Piraten?
Piraten, Herr
Münck: Historisch
ist der Parteiname an Internetpiraterie angelehnt. Wir stehen für Freiheit von
Wissen und Informationen. Das bedeutet, dass wir uns für die Teilhabe an
Fortschritt in Kultur und Forschung, und gegen Ausschluss durch Armut einsetzen.
Auf kommunaler Ebene kommt man zwar nicht an große Konzerne heran, gleichwohl
geht es auch um Datenschutz seitens der Stadt, zum Beispiel um Datenverkauf zu
vermeiden. Außerdem stehen wir für Transparenz in Politik und Verwaltung.
stadt40: Sie wollen bei der Bürgerbeteiligung unter anderem nicht ernstgemeinte Formate ersetzen und verstärkt digitale Medien nutzen. Diese Forderung bleibt vermutlich aktuell, aber gab es schon Fortschritte?
Piraten, Herr Münck: Bisher ist die Bürgerbeteiligung auf das gesetzlich Vorgeschriebene beschränkt. Beteiligungsmöglichkeiten sind schwer zugänglich und Teilnahme ist aufwendig und wenig fruchtbar. „Wie man das jetzt macht, man muss an irgendwelchen Veranstaltungen teilnehmen, das hat eine gewisse Barriere. Die Leute müssen Zeit haben, müssen da hin fahren, nicht jeder traut sich das zu oder hat Lust. Ich glaube man würde mehr Leute beteiligen, wenn man sich barrierearm im Internet organisiert“, so Münck. Am Beispiel der Bauplanung: Gesetzliche Vorgaben, die bisher analog gedacht sind könnten durch digitale Bürgerbefragungen ergänzt werden. Dabei strebt die Partei keine einzelne konkreten Modelle, sondern eine offenheit gegenüber verschiedenen Vorschlägen und Experimenten an. Es geht um das gemeinsame Erarbeiten von Beteiligungsformen mit den Bürgern, nicht um von oben entschiedene starre Prozesse auf dynamische und unterschiedliche Situationen.
stadt40: Wie
wollen Sie Münster Zukunftsfähig machen?
Piraten,
Herr Münck: „Der
bester Verkehr ist der, der gar nicht statt findet.“ Grundsätzlich
sollten planerische Entscheidung auf Verkehrsvermeidung achten. Zum Beispiel
müssen Parkplätze anders geplant werden. Ein Möglichkeit wäre die
Förderung von Unternehmen, die Arbeit im Home-office anbieten, indem sie von
der Parkplatzpflicht für Gewerbeflächen befreit werden. Das würde einerseits
Pendlerverkehr vermeiden und andererseits Parkplatzflächen für andere Nutzung
freigeben. In der Verwaltung selbst hat
die Pandemie Heimarbeit nötig gemacht. Vor diesem Hintergrund scheint der
aktuelle Ausbau des Stadthauses für mehr Büros – und damit einhergehender
Verkehr – als überflüssig. Neben dem Verkehr nach und aus Münster gilt
außerdem: Autos raus aus der Innenstadt, aber maßvoll! Fahrräder und Lastenräder
können viel Verkehr ersetzen, der Rest sollte elektrifiziert werden. Dazu könnten
öffentliche Ladestationen an Laternen oder Parkplätzen, aber auch Vorrechte für
Elektrofahrzeuge für die Busspuren oder kostenlose Parkplätze beitragen.
Wenn es um
Wohnungen geht, ist der Unterschied zwischen Wohnraum und Baufläche wichtig: Münck:
„Platz ist eigentlich genug da.“ Die insgesamt genutzte Wohnfläche ist laut dem
Klimabericht der Stadt seit 1990 um über 44% gestiegen, die Bevölkerung
allerdings nur um 12%, ein Missverhältnis, das durch den Trend zu Ein-Personen-Haushalten
und größeren Wohnungen entsteht. Mehr Wohnungen müssen also nicht nur durch
neuen Wohnraum entstehen, insbesondere wenn teure Neubauten und Luxuswohnungen zu
Lasten von Grünfllächen und Klimaschutz gehen und wenige Haushalte
unterbringen. Auch das eigentliche Problem – teure Mietpreise – würde kaum
angegangen.
Stattdessen wollen die Piraten nachverdichten und bisherigen Flächen wie Garagen
zu Wohnungen umwandeln. Der Plan beinhaltet die Förderung von Dachausbauten und
Wohnungsteilungen und Neubauten im Stadtgebiet, aber „nicht irgendwo den Acker
zumachen“.
stadt40: Wie positioniert sich Ihre Partei angesichts der erschwerten Haushaltslage gegenüber Großprojekten wie Hafen markt und Musik-Campus?
Piraten, Herr Münck: Wir sind grundsätzlich skeptisch, ob derlei Projekte notwenig und die Kosten verhältnismäßig sind. Ein Beispiel ist die Musikhalle: Münck selbst ist „kein großer Fan“, weil vermutet wird, das die alternative Kulturszene weitgehen ausgeschlossen bleibt. Angeblich sollen zwar auch Räume für die freie Kulturszene bereitgestellt werden, das scheint allerdings eher als Vorwand und argument, um sie abzuspeisen und sogar Kosten zu sparen.
stadt40: Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Probleme, denen sich der Rat nach der Wahl stellen muss?
Piraten,
Herr Münck: Klimawandel
und Umweltschutz sind bisher zu kurz gekommen. Wir sind der Meinung, das
CO2-neutral nicht ausreicht, die Bilanz muss negativ werden. Münster sollte in
der Lage sein, das durch Aufforstung, eine strengere Baumschutzsatzung und Baumprämien
im Stadtgebiet schaffen. Moore sind bessere CO2-Speicher als Wälder,
auch sie könnten im Umland angelegt werden.
Experten sind der Meinung, man müsse bis zu 50% weltweiter Gebiete
unbewirtschaftet gelassen, um Klima und Umweltschutz zu garantieren. Auch wenn
das in Münster unwahrscheinlich ist, zeigt es doch eine klare Richtung auf. Wir
fordern Aufforstung statt Flächenversiegelung.
stadt40: Haben sich durch die Corona Pandemie die Prioritäten in Ihre Programm neu geordnet? Falls ja, wie?
Piraten, Herr Münck: Grundsätzlich nicht. Viele der Maßnahmen und neuen Wege beinhalten
sogar das, was wir schon immer sagen, nämlich dass man Digitalisierung nutzt.
Corona wird irgendwann als besonderes Problem verschwinden, dann kommt es
darauf an im Kopf zu behalten, das es auch anders geht. Auch wirtschaftliche
Sterbeprozesse werden beschleunigt, etwa von innenstädtischem Gewerbe. Münster scheint in
der Lage, den entstandenen Schaden aufzufangen, andere Städte haben dabei
größere Probleme. Uns ist wichtig zu betonen, das eine Rückkehr zum Status quo möglicherweise gar nicht so
sinnvoll ist.
stadt40: Welchen Kurs zwischen Einschränkungen und Lockerungen befürworten Sie? Welche Konkreten Maßnahmen halten Sie für sinnvoll?
Piraten, Herr Münck: Sich pauschal festzulegen wäre unwissenschaftlich. Stattdessen sollte man auf die Profis hören, dazu ist das Robert-Koch Institut da. Bisher haben wir noch keine „full-blown“ zweite Welle, das größere Problem stellen Schulöffnungen dar. Dort wird man abwarten müssen und kann ohnehin nur beobachten und Probleme oder Erfolge kommunizieren – denn Bildung ist Landessache.
stadt40: In Ihrem Programm positionieren Sie sich gegen ideologisch durchgesetzte Entscheidungen im Bildungswesen. Was wäre das und wie sehen Sie diese Forderung im Lichte der Neueröffnungen?
Piraten,
Herr Münck: Ursprünglich
war das eine Forderung gegen „Inklusionspolitik mit der Brechstange“, also
übertriebene Eingriffe in Schulplanung und Abläufe. Wenn sie nicht gut mit den
lokalen Bedingungen und Ansprüchen zusammen passen. In einem zielorientierten
Ansatz sollte immer die Frage gestellt werden, was man will und ob das auch
erreicht wird. Das gilt auch für die Maßnahmen und den Umgang mit Corona.
Generell
funktiort Schule in Münster weitestgehend: Eine neue Gesamtschule wurde
erfolgreich gegründet, eine zweite wird sicher nötig werden. Dennoch gibt es
Probleme, die gelöst werden müssen. Das Betrifft dauerprovisorische
Raumversorgung, wo teilweise schon jahrelang in Containerklassen unterrichtet wird. Hier wäre vorrauschauendes
Planen entlang der Bevölkerungsprognose notwenig, um Räume rechtzeitig
zur Verfügung zu stellen.
stadt40: Sie wollen Raum schaffen für Experimentelles, Kreatives und sozial Innovatives. Was verstehen Sie darunter, welche konkreten Ideen haben Sie?
Piraten, Herr Münck: Dieser Punkts betrifft Digitalisierung, aber auch alternative Wohnformen wie genossenschaftliches oder generationsübergreifendes Wohnen. Genauso geht es um Kunst- und Kulturpojekte wie die B-Side, den alten Güterbahnhof und den Haverkamp. Sie sollten verbessert und unterstützt, oder unter gegebenen Umständen zumindest erhalten werden, anstatt Sie durch neue Proekte oder andere Nutzung zu ersetzen. Auch wenn Münster schon gut aufgestellt ist, kann es noch mehr solcher Orte vertragen, um Luft zum atmen zu schaffen, durch die Diversifikation von Projekten und Schaffung von Freiräumen ohne vorgegebene Richtung oder Ziele.
stadt40: Worüber haben wir zu sprechen vergessen?
Piraten,
Herr Münck: „Digitalisierungen
der Schule ist ein Thema, das in Münster noch ein bischen traurig läuft“ Auch hier
braucht es mehr Freiräume für die Schulen. Der bisherige städtische
IT-Dienstleister hat konkrete Vorgaben, die umgesetzt werden müssen. Er ist
aber auch ein langsames, großes und undynamisches Bürokratie-Riese, das
Fortschritt häufig ausbremst. Eine gute Digitalisierungsstrategie braucht Verantwortliche
an den Schulen, die vor Ort und gemeinsam mit Schülern und Lehrkörper and die lokalen Bedürfnisse angepasste Lösungen entwickeln. Dabei entstünde
außerdem ein größerer Lerneffekt. Das bedeutet natürlich nicht, das Schulen
alles leisten müssen: Grundbedingungen wie eine Server-Infrastruktur sollten in
städtischer Hand bleiben.
stadt40 bedankt sich für das Gespräch mit Niels-Arne Münck, Listenplatz 1 der Piraten.