(Tobias
Hachmann) In knapp weniger als einer Woche findet am 13.09.20 die
Kommunalwahl statt. Die OB-Kandidatin der Links-Partei Sandra Riveiro
Vega lud stadt4.0-Reporter Tobias Hachmann nach Hamm ein, um die
sechs Fragen in einem persönlichen Interview zu beantworten. Vielen
Dank dafür!
1.
Frage:
Auf welche Weise soll dem Einzelhandel, der Gastronomie und
freischaffenden Künstlern zwecks Entschädigung für die
Corona-Einschränkungen unter die Arme gegriffen werden?
Riveiro
Vega:
Sowohl den freischaffenden Künstlern als auch der Gastronomie ging
es schon vor der Corona-Krise relativ schlecht – und zwar deswegen,
weil der Normalverbraucher zu wenig Geld in der Tasche hat, um mal
öfter Konzerte, Galerien oder Restaruants zu besuchen. Die Ursachen
dafür sind jetzt durch die Pandemie nochmal deutlicher geworden: Auf
den Abbau der Zechen hier in Hamm reagierte man mit einem falschen
Strukturwandel, durch den zu wenig Jobs bzw. nur relativ schlecht
bezahlte Jobs entstanden sind. Auch Steuererhöhungen wie die
Erhöhung
der Grundsteuer B, die von der Stadtentwicklungsgesellschaft
vorgenommen wurden, haben dazu beigetragen, dass der normale Bürger
sich immer weniger leisten kann.
Nachdem dies alles schon vor
der Pandemie schief gelaufen ist, muss Corona nun der Wendepunkt
sein. Wir brauchen dringend vernünftige Förderungen, die nicht nur
für das gelten, was verwertbar ist, sondern auch allgemein für den
kreativen Freiraum wirklich unabhängiger Kunst. Dafür müssen
günstige Rahmenbedingungen geschaffen werden. Es ist nun Aufgabe der
Stadt, sich an der der Seite der Kulturschaffenden zu
positionieren. Die Vielfalt der Träger kultureller Produktion muss
erhalten werden, gute und existenzsichernde Arbeit im Kulturbereich
muss möglich sein. Künstlerinnen und Künstler, alle
Kulturschaffenden sollen von ihrer Arbeit
leben
können und sozial abgesichert sein.
2.
Frage: Welchen Kurs zwischen Einschränkungen und Lockerungen
befürworten Sie bezüglich der Corona-Krise?
Riveiro
Vega:
Wir sollten lieber ein bisschen vorsichtiger sein und vielleicht eher
den Weg der Einschränkungen gehen. Es geht letztendlich um
Menschenleben und Corona-Tote müssen soweit es geht vermieden
werden. Es ist aber auch wichtig, dass die negativen sozialen Folgen,
die durch die Corona-Maßnahmen entstanden sind, in Zukunft besser
ausgeglichen werden. Zum Beispiel sollten die Masken, die die Schüler
in der Schule tragen müssen, entweder kostenlos zur Verfügung
gestellt werden oder die Eltern sollten Fördermittel kriegen, damit
sie die Masken für ihre Kinder so häufig kaufen könne, wie es halt
nun mal notwendig ist. In solchen Punkten müssen Stadt, Land und
Bund noch aktiver werden.
3.
Frage: Welche
Möglichkeit sehen Sie bei einer gewonnen Oberbürgermeisterwahl die
sozialen Ungerechtigkeiten, die durch Hartz IV entstanden sind, für
Hamm zu kompensieren?
Riveiro
Vega:
Wir sind natürlich an die Bundesgesetzgebung gebunden und können
Hartz IV nicht einfach abschaffen. Aber Hamm ist ja eine
Optionskommune. Dadurch sind wir nicht an die Handlungsempfehlungen
der Bundesagentur für Arbeit gebunden. So kann die Stadt Hamm zum
Beispiel die sogenannten „Kosten der Unterkunft“ (KDU) selber
berechnen. Dabei geht es um die Berechnung eines Mietpreises durch
Einbeziehung des lokalen Immobilienmarktes und der Anzahl der
Wohnungen. Was wir für mehr soziale Entlastung leisten müssten, ist
die Hinterfragung, ob das derzeitige Berechnungsmodell für den KDU
wirklich fair ist. Der Mitpreis pro m² müsste bei Betrachtung der
aktuellen Wohnlage eigentlich gesenkt werden. Dies muss auch damit
verbunden werden, dass mehr Wohnraum öffentlich gefördert wird. Um
die sozialen Ungerechtigkeiten in den Griff zu bekommen, müssen auch
Alternativen zu den von dem Jobcenter verhängten Sanktionen und
Maßnahmen gefunden werden. Es ist keine nachhaltige Politik, wenn
man über dass Job-Center dauernd in Zeitarbeits-Stellen vermittelt
wird, bei denen man nach drei Monaten wieder den Job verliert. Es ist
auch klar, dass die Kosten von Normalverbrauchern durch den
“Hartz-IV”
Satz nicht gedeckt sind. Hier braucht es eine kommunale Strategie,
die Energiesperren verhindert: In Hamm soll niemand im Dunkeln in
unbeheizten Räumen sitzen.
4.
Frage: Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Probleme, denen sich
der Rat nach der Wahl stellen muss?
Riveiro
Vega: Allgemein
muss Hamm für alle Menschen sozial gerechter werden. Ein Thema, das
alle Menschen was angeht, ist zum Beispiel die Gesundheit: Das
Krankenhaus St. Joseph in Bockum-Hövel darf nicht - wie es momentan
geplant ist - dicht gemacht werden. Im Notfall muss es halt
kommunalisiert werden.
Auch muss dafür gesorgt werden, dass
BiIdung allen Menschen offen steht. Gesamtschulen bieten den Menschen
die größten Chancen, da dort verschiedene Schüler am längsten die
Möglichkeit haben, ihren eigenen Weg gemeinsam zu gehen. Die drei
Gesamtschulen, die Hamm momentan hat, müssen wegen zu vieler
Anfragen noch immer Kinder ablehnen. Deswegen fordern wir eine vierte
Gesamtschule.
Auch beim Thema Mobilität muss gehandelt
werden. Die Linke Hamm will im öffentlichen Nahverkehr für
folgendes sorgen: Jeder muss Busse ticketfrei kostenlos benutzen
dürfen, was möglich ist, wenn der Busverkehr durch Umlagen
finanziert wird. Außerdem brauchen wir mehr Haltestellen und kürzere
Wartezeiten: Es müssen einfach mehr Busse in einer höheren Taktung
aktiv sein. Dadurch würden vielleicht auch mehr Menschen ihr Auto
stehen lassen.
Ein weiteres Thema, dem sich der Rat stellen
muss, ist das Thema Wohnen: Wir brauchen mehr öffentlich geförderten
Wohnraum zu fairen Preisen für die Mieter.
Auch um den
Klimaschutz muss sich gekümmert werden: Die Stadtwerke müssen ihren
Anteil an erneuerbaren Energien weiter ausbauen. Die Stadt könnte
auch selber die Initiative ergreifen und alle Dächer ihrer Gebäude
mit Photovoltaik-Anlagen ausstatten.
Es muss ferner dafür
gesorgt werden, dass es in Hamm mehr gut bezahlte Jobs gibt. Darüber
haben wir ja gerade schon gesprochen. In Hamm wurde in den letzten
Jahren zu sehr darauf gesetzt, massiv Logistik-Unternehmen
aufzubauen, die nur relativ geringe Löhne zahlen. Stattdessen
bräuchten wir mehr kleinere Firmen von Selbständigen, die auch
wirklich unterstützt werden.
Ein letzter ganz wichtiger Punkt
sind die Kommunalfinanzen: Es müssen Signale nach Düsseldorf und
Berlin gesendet werden, dass die Sparpolitik im Haushalt von Hamm ein
Ende haben muss. Hamm braucht den Altschuldenschnitt, damit man
nochmal komplett von Null anfangen kann.
5.
Frage: Wie wollen Sie Hamm zukunftsfähig machen (Stichworte
Energie,
Wohnen, Mobilität)?
Riveiro
Vega: Über
Energiewende, Mobilität und Wohnen haben wir ja schon geredet. Ich
kann jetzt die konkrete Umsetzung für den Bereich Wohnen kurz
vertiefen: Die HGB (Hammer gemeinnützige Baugesellschaft), die zum
Konzern Stadt Hamm gehört, muss besser ausgestattet werden. Wegen
der Mobilität nochmal: Da ist das schon erwähnte ticketfreie/
kostenlose Benutzten des Busverkehrs unsere wichtigste Forderung. Es
gibt einige Städe wie zum Beispiel Bremen, die bereits Konzepte
ausgearbeitet haben, wie das Ganze über Umlagen finanziert werden
kann.
6.
Frage: Welche Maßnahmen sind Ihrer Meinung nach für die Förderung
der Familie notwendig?
Riveiro Vega: Dazu
muss erstmal gesagt werden, dass Familien mehr als nur das
verheiratete Paar sind. Auch unverheiratet oder gleichgeschlechtlich
Zusammenlebende müssen gefördert werden, und zwar genau so hoch wie
Verheiratete. Dann müssen sowohl bei den Kitas als auch bei den
offenen Ganztagsschulen die Plätze ausgebaut werden: Jahr für Jahr
haben wir hier in Hamm bei den Kitas 15 bis 20 Übergangsgruppen, für
die dann kurzfristig Container aufgestellt werden müssen. Bei den
offenen Ganztagsschulen ist es auch wichtig, dass den Lehrenden ein
Qualitätsstandard gesetzt wird: Dort werden relativ viele Kräfte
ohne richtige pädagogische Ausbildung eingesetzt, weil sie
preiswerter sind. Davon sind leider einige nicht in der Lage,
vernünftig mit den Kindern umzugehen. Bei den offenen
Ganztagsschulen müssen die Räumlichkeiten ausgebaut werden: Die
Kinder sollten erstens einen eigenen Raum zum Essen haben und
zweitens nicht für gewisse Kurse in andere Gebäude rüberwandern
müssen.
Ferner muss zur Förderung der Familie der
sogenannte Unterhaltsvorschuss schneller und unbürokratischer
ausgezahlt werden. Die Kinder- und Jugendhilfe muss allgemein
ausgebaut werden. So braucht das Jugendamt zum Beispiel in der
Sozialarbeit mehr Angestellte mit Langzeitverträgen. Ein
Sozialarbeiter kann nicht hinreichend mit Problemgruppen in gewissen
Vierteln das Gespräch suchen, wenn ihm dafür nur ein paar Stunden
im Monat zur Verfügung stehen.
Ferner muss bei dem
Förderpaket „Bildung und Teilhabe“ den arbeitslosen Eltern mehr
Geld für die Teilhabe ihrer Kinder an kulturellen Veranstaltungen
gegeben werden.
Auch muss die Stadt Hamm als Arbeitgeber
flexible Modelle schaffen, über die Beruf und Familie vereinbar
sind. Statt einer Flexibilisierung
von Arbeitszeit, die sich lediglich an betrieblichen Erfordernissen
orientiert, brauchen die Beschäftigten mehr
Zeitautonomie.
stadt4.0 bedankt sich bei Sandra Riveiro Vega ganz herzlich für das persönliche Treffen zum Interview und
wünscht ihr alles Gute für den Wahlkampf.
Titelbild: Tobias Hachmann im Interview mit Sandra Riveiro Vega (Tobias Hachmann)