In seiner Kindheit in Luanda, Angola lebte Oliveira Kabassu auf
der Straße, nachdem sein Vater die Familie verlassen hatte. Seine Mutter
durfte damals zurück in den Haushalt ihrer Schwester, ihre drei Kinder waren
allerdings nicht willkommen. Auch wenn es weiter Kontakt gab, war das Verhältnis
zu beiden Eltern ein schlechtes: Er selbst sei schon klar gekommen, aber seine jüngeren Geschwister
hätten dringend Hilfe gebraucht. Rückblickend sei es eine harte Zeit gewesen, er habe
aber auch Freunde und Kontakte gefunden.
Dennoch war es Oliveira’s Mutter, die ihn zuerst mit dem Malen in Kontakt
brachte: Der 23-jährige Künstler hatte schon im Alter von vier Jahren angefangen, seine
Mutter nachzuahmen und seitdem nie richtig damit aufgehört. Es sei niemals sein Traum
gewesen, Kunst zu machen, so Oliveira, „aber wenn Gott dir ein Talent
gibt, ist es schwierig, das zu lassen“. Nach einiger Zeit sind Menschen aus
seinem Umfeld auf ihn aufmerksam geworden und haben ihn ermutigt
weiterzumachen. Seit 2017 bietet Kabassu under dem Synonym „OK“ seine Kunst professionall
an.
Nach vielen Veranstaltungen mit anderen Künstlern wurde ihm 2018 seine erste
Solo-Ausstellung noch in Luanda, Angola angeboten. Von da an zog er das
interesse der nationalen Medien, insbesondere Zeitung und Fernsehen vor Ort auf sich. Er
führte erste Interviews und erlangte lokale Bekanntheit.
2019 flog er für eine
weitere Solo-Ausstellung nach Miami, später war er in der Gallerie „Magenta“ in
Figueira da Foz, Portugal vertreten.
Als der junge Künstler im Dezember vergangenen Jahres nach Deutschland gekommen ist, ging es jedoch nicht um die Kunst.
Durch seine
lokale Bekanntheit geriet Oliveira in den Ruf, wohlhabend zu sein. Er wurde erpresst und überfallen, weil Menschen dachten, er hätte viel Geld, auch Einbrüche
in seine Wohnung sind vorgekommen. Einmal hätte ihm eine Gruppe Leute zuhause aufgelauert und ihn
zusammengeschlagen. „Wäre ich nicht bewusstlos geworden, hätte ich sterben können.“
Ob die Gewalt, die er erfahren hat nur Geld zum Ziel hatte, oder auch politische Gründe, kann er
nicht sicher sagen. "OK"s Kunst beinhaltet auch politische Werke – wie etwa das Bild „Schachmatt“
(übersetzt) – in denen er nicht zuletzt auch die Regierung Angolas kritisiert. Es
würde ihn nicht überraschen, wenn es Menschen gibt, die nicht glücklich über
seine Aussagen waren, er hätte zumindest nie Rücksicht auf die Politik genommen. „Hier in Deutschland hat man Freiheit, aber in meinem Land gibt es viel Korruption“, erklärt er.
Am Ende hat er sich entschieden, das Land zu verlassen und wurde von Freunden unterstützt.
Sie organisierten auch einen Platz in einem Flieger nach Deutschland, wo er
Asyl beantragte.
Hier kennt bisher niemand Oliveiras Bilder. Nach dem Antrag war er zuerst in einer Erstaufnahmestelle in Köln und später Münster untergebracht. Inzwischen lebt er schon einige Zeit in der York-Kaserne. Sein Antrag ist noch nicht entschieden, aber auf die Frage, was er hier gerne machen würde, meinte er, er würde gerne studieren: „Aber nicht Kunst. In meiner Kunst will ich keine Regeln.“ Am liebsten würde er weiter professionell malen. Bis dahin- auch weil er noch nicht arbeiten darf- besucht er viele Kurse in der Unterkunft und verbringt die Zeit ansonsten mit American Football, Singen, an der Gitarre oder dem Klavier in der ehemaligen Kaserne. Dort kenne man ihn schon. Außerdem liest er viel, gerade zu den Themen Gerechtigkeit und Glauben.
Zwischen Van Gogh und Michelangelo
Die Farbe für seine Bilder kauft er bisher selbst, denn er mag es nicht, zu sehr von Menschen abhängig zu sein und will seine künstlerische Freiheit behalten.
Kabassu malt mit Acryl auf Leinwand, dabei folgt er meist
vier Schritten:
-Zuerst wird eine einfarbige Grundierung geschaffen. Sie soll den
Rest des Bildes inspirieren und gibt auch eine gewisse Richtung vor, etwa ein Gefühl oder etwas kürzlich Erlebtes.
-Im zweiten Schritt werden weitere Farben hinzugefügt. In abstrakten Mustern
unterteilen sie das Bild und legen die Grundlage für
-Schritt 3: Erste
gegenständliche Zeichnungen werden hinzugefügt, zuerst noch mit wenig
Zusammenhang und eher spontan ausgewählt, denn erst im -vierten und letzten
Schritt recherchiert Oliveira weiter und entwickelt auf der kreativ
geschaffenen Grundlage ein Thema, das die vorhandenen Motive verbindet.
Auch wenn die letzten beiden Schritte häufig ineinander übergehen und gleichzeitig
stattfinden können, sei es wichtig, zu Beginn kein fertiges Thema oder Bild im
Kopf zu haben, um der Kreativität freien Lauf zu lassen. Dabei braucht es außerdem zwei
wichtige Zutaten: Inspiration und Motivation. Fehlt eines von beidem, kann ein halb-fertiges
Bild auch Wochen unberührt dastehen.
Technisch hat Kabassu zwei große Idole: Vincent van Gogh und der italienische Renaissance-Künstler Michelangelo; während er letzteren insbesondere für den realistischen Zeichenstil lobt, erkennt Oliveira eine Ähnlichkeit zwischen seiner Kindheit und der Geschichte des Niederländers.
Seit seiner Ankunft hat „OK“ zwölf Bilder in Deutschland gemalt, wie viele es vorher waren, weiß er nicht mehr. Dabei reicht es ihm nicht aus, nur etwas so zu zeichnen wie er es sieht. Die Menschen sollten etwas mitnehmen, eine tiefere Bedeutung verstehen oder etwas neues lernen, wenn sie seine Bilder sehen, so Kabassu: „Ich muss wissen, was ich darstellen will.“ Am liebsten sei es ihm, wenn Menschen konkrete Fragen zu seinen Bildern stellen: Was ist das? Was sehe ich hier? Was wolltest du mit dieser Farbe sagen? So sei klarer, was nicht verstanden wurde, oder was besonders eindrucksvoll wirkt. Außerdem sei es schwer, alles auf einmal zu erlären, ohne einen Aufhänger zu haben. Dasselbe gilt für sein Gesamtwerk. Ein übergreifendes Thema gebe es nicht.
Auf seinem neuesten Bild behandelt „OK“ die globale Covid-19 Pandemie. Mangels einer größeren Unterlage wurde das Bild auf vier kleineren Leinwänden realisiert, die zusammengestellt werden können. Unübersichtlich und teils vom farbigen Hintergrund verdeckt, findet man viele bekannte Szenen: Schutzmasken, Laborampullen, eine Schlagzeile mit den neuesten Infektionszahlen, eine verwaiste Innenstadt, aber auch ein Schachbrett. Letzteres prangert das Durcheinander und die Instrumentalisierung der Krankheit für politische Zwecke an. Auch wenn die Teilung der Leinwand nur eine Notlösung ist, verstärkt sie doch das Gefühl der Zerstückelung und Vielschichtigkeit der aktuellen Situation. Eigentlich wollte er nicht einmal ein Bild zu Corona machen, aber die Berichte eines Freundes aus der Republik Kongo, wo die Pandemie als Deckmantel für Korruption genutzt worden sein soll, hätten ihn aufgewühlt und inspiriert.
In den meisten seiner Bilder spricht Oliveira aber weniger über aktuelle Ereignisse. Er zeigt uns eines seiner älteren Bilder, das als Teil einer seiner ersten Ausstellungen in Angola ausgestellt wurde: „Save one Soul“ (übers.) zeigt das Gesicht eines Obdachlosen und soll warnen, dass all das, was Kabassu selbst geschehen ist, auch anderen passieren kann und es bereits tut. Gleichzeitig ist er dankbar, dass Menschen ihn wahrgenommen und unterstützt haben. „Das Bild soll motivieren, Lösungen zu finden.“
Den Kontakt zu Oliveira und sprachliche Unterstützung während des Gespräches hat Herr Westphely bereitgestellt. Er arbeitet ehrenamtlich in der Geflüchtetenunterkunft der York-Kaserne und hat den jungen Angoler in einem seiner Kurse kennengelernt. Er hat nebenbei erfahren, dass er Künstler sei und war von den Bildern so überzeugt, dass er ihn auch weiter unterstützen will, sich hier zu etablieren. stadt4.0 bedankt sich ausdrücklich für die Unterstützung.