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Rede von Heiko Maas

"Kampf der Menschen für Demokratie und nationale Souveränität in Belarus"

   

Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Bilder, die uns aus Minsk und anderen Landesteilen in Belarus zurzeit erreichen, könnten nicht gegensätzlicher sein. Auf der einen Seite stehen Menschen aus allen Bevölkerungsschichten, die nach haarsträubend gefälschten Wahlen friedlich für ein anderes, demokratisches Belarus demonstrieren. Ihr Mut, gegen Gewalt und für freie und faire Wahlen sowie die Freilassung der politischen Häftlinge auf die Straßen zu gehen – und das ungebrochen –, ist für uns alle beeindruckend. Ihnen gegenüber steht ein martialischer Sicherheitsapparat, der auf Befehl Lukaschenkos friedliche Demonstranten niederknüppelt, einsperrt und auch misshandelt. Jede Woche werden Hunderte Frauen und Männer abgeführt oder gekidnappt – aus Schulen, Universitäten, Betrieben oder einfach von der Straße –, oft nur, weil sie das Symbol eines demokratischen Belarus, die weiß-rot-weiße Fahne, mit sich tragen.

Der Koordinierungsrat, in dem sich die Opposition um die betrogene und vertriebene Präsidentschaftskandidatin Tichanowskaja versammelt hat und der nicht nur aus aktiven Oppositionellen, sondern auch aus ganz einfachen Menschen in Belarus besteht, bekommt die Härte des Regimes ganz besonders zu spüren.

Marija Kolesnikowa, die mutig ihren Pass zerriss, um ihrer Abschiebung zu entgehen, landete im Gefängnis, ebenso wie Maxim Snak und Sergej Dylewski. Pawel Latuschko und andere wurden bedroht und zur Ausreise genötigt, und selbst Swetlana Alexijewitsch, die 72-jährige Nobelpreisträgerin, wird schikaniert und bedrängt. Letzte Woche hat nur das beherzte Eingreifen zahlreicher europäischer Diplomaten – auch des deutschen Botschafters – dazu beigetragen, ihre Verhaftung bei sich zu Hause zu verhindern.

Gerade für uns Deutsche, die wir in diesen Tagen an unsere eigene friedliche Revolution und die Wiedervereinigung vor 30 Jahren erinnern, kann und darf es keinen Zweifel geben, an wessen Seite wir stehen: an der Seite der Menschen, die friedlich gegen Gewalt und für ihre Rechte kämpfen. Daher werden wir die belarussische Zivilgesellschaft weiter unterstützen, indem wir beispielsweise für unabhängige Medienberichterstattung eintreten – es sind nicht zuletzt auch deutsche Journalistinnen und Journalisten durch Repressionen durch das Lukaschenko-Regime zu Opfern geworden – und indem wir bedrohten Aktivisten ebenso wie den Opfern von Gewalt beistehen und nach Möglichkeiten suchen, ihnen zu helfen.

Wir haben Lukaschenko immer wieder aufgefordert, mit denen, die auf der Straße sind, in einen Dialog zu treten. Er geht aber weiter den Weg der Gewalt und Unterdrückung und sucht dafür die Rückendeckung aus Moskau. Immer wieder haben wir eine Vermittlung vorgeschlagen – insbesondere die durch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), deren Mitglied Belarus ist und zu deren Werten es sich bekannt hat. Genau deshalb wäre die OSZE nach wie vor dafür prädestiniert, einen runden Tisch einzuberufen.

Doch wir müssen auch der Realität ins Auge blicken. Alle Angebote stoßen in Minsk auf taube Ohren. Statt mit den Menschen in seinem Land zu reden, sperrt Lukaschenko sie weg. Wer dies tut, der muss mit Konsequenzen rechnen.

Deshalb haben wir in der Europäischen Union sehr früh Sanktionen gegen diejenigen auf den Weg gebracht, die für Wahlfälschung und Menschenrechtsverletzungen nachweislich verantwortlich sind. Beim Treffen der EU- Außenminister hier in Berlin waren wir uns in der Sache einig, und wir werden dies jetzt zügig umsetzen. Wir werden bereits am Montag kommender Woche in Brüssel – im EU-Außenrat – das weitere Vorgehen miteinander beraten. Ich sage aber auch ganz offen: Wenn die Gewalt gegen die friedliche Opposition nicht aufhört, dann werden diese Maßnahmen auf erheblich mehr Personen auszuweiten sein, und dann wird es dabei auch darum gehen, über Herrn Lukaschenko zu reden.

Auch Russland trägt in dieser Lage eine ganz besondere Verantwortung. Dies folgt schon aus dem engen, besonderen Verhältnis zu Belarus, das auch die belarussische Opposition nicht infrage stellt. Mit – wie bisher – bedingungsloser Unterstützung Lukaschenkos und hybrider Einflussnahme wird Moskau die Sympathien der Menschen in Belarus aber ganz sicherlich verlieren. Deshalb haben wir sowohl gegenüber Präsident Putin als auch gegenüber Außenminister Lawrow noch einmal deutlich dafür geworben, dass sich auch Russland dafür einsetzen sollte, einen Dialog auf der Ebene der OSZE in Gang zu setzen, und Herrn Lukaschenko klipp und klar sagen sollte, dass das auch die Anforderung aus Moskau ist.

Keiner möchte eine neue geopolitische Krise in der Mitte Europas. All diejenigen – und das sind insbesondere diejenigen in Moskau –, die schon den zweiten Maidan oder die zweite Ukraine vor sich sehen, müssten eigentlich besser wissen, dass die Ukraine und Belarus in dieser Frage nicht vergleichbar sind. Auf dem Maidan sind schon die Fahnen der Europäischen Union getragen worden. Derartiges sieht man in Belarus nicht. Die Menschen in Belarus setzen sich vor allen Dingen für eines ein: für echte Demokratie, für faire und freie Wahlen – und für nichts anderes. Es geht für uns innerhalb der Europäischen Union nicht darum, Belarus von Russland loszulösen und der Europäischen Union einzuverleiben, sondern es geht einfach darum, dass wir uns dafür einsetzen, dass die Menschen in Belarus in einer freien und fairen Wahl selbst darüber entscheiden können, welchen Weg sie nehmen. Deshalb geht es auch nicht darum, ob es hier eine zweite Ukraine gibt oder nicht.

Auf jeden Fall: Wir in Deutschland – sowohl in der Bundesregierung als auch innerhalb der Europäischen Union – stehen weiterhin bereit für alle Lösungen, die die legitimen Kernforderungen der Demonstranten berücksichtigen: ein Ende der Gewalt, die Freilassung aller politischen Gefangenen sowie faire und freie Wahlen. Herzlichen Dank.

 

BPA - Bulletin 91-2