Nach 32 Tagen in der Berliner Charité ist der vergiftete russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny entlassen worden. "Der Tag ist gekommen - hurra!", schrieb Nawalny am Mittwoch im Onlinedienst Instagram. Demnach sieht er noch einen langen Rehaprozess vor sich bis zu seiner Genesung. Der Kreml erklärte, Nawalny stehe die Rückkehr nach Russland jederzeit "frei" - nach Angaben seiner Sprecherin will er aber zunächst in Deutschland bleiben. Die Bundesregierung zeigte sich erfreut über seine Entlassung.
Der prominente Gegner des russischen Staatschefs Wladimir Putin war am 22. August in die Berliner Universitätsklinik eingeliefert worden, nachdem er zwei Tage zuvor während eines Flugs in Russland zusammengebrochen war. Von den 32 Tagen in Behandlung verbrachte er 24 auf einer Intensivstation.
Die Charité teilte mit, der Gesundheitszustand des 44-Jährigen habe sich bis zu seiner Entlassung am Dienstag "soweit gebessert, dass die akutmedizinische Behandlung beendet werden konnte". Die behandelnden Ärzte halten demnach eine vollständige Genesung "aufgrund des bisherigen Verlaufs und des aktuellen Zustands" von Nawalny für möglich. Jedoch könnten eventuelle Langzeitfolgen erst im weiteren Verlauf beurteilt werden, erklärte die Charité weiter.
Der Kreml-Kritiker berichtete, er könne mit seiner linken Hand keinen Ball mehr werfen oder schreiben. "Das Gehirn will diese Bewegung einfach nicht mehr machen." Er sei "furchtbar erschüttert" gewesen, als er nach 24 Tagen auf der Intensivstation - davon 16 Tage im Koma - erstmals wieder sein Spiegelbild gesehen habe, fügte Nawalny hinzu. "Aber die Ärzte haben weiterhin ein Wunder bewirkt."
"Der Plan ist ganz einfach: Täglich einen Physiotherapeuten aufsuchen, vielleicht ein Rehazentrum, auf einem Bein stehen, völlige Kontrolle über meine Finger wiedererlangen, das Gleichgewicht halten", schrieb Nawalny weiter auf Instagram. Wo er sich der Rehatherapie unterziehen will, sagte er nicht.
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen, Nawalny könne "jederzeit" nach Moskau zurückkehren, wie jeder russische Staatsbürger. Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch erklärte jedoch im Onlinedienst Twitter, er werde "vorerst" in Deutschland bleiben, da er sich noch in Behandlung befinde.
Regierungssprecher Steffen Seibert sagte in Berlin, die Bundesregierung sei "sehr erleichtert", dass sich sein Zustand so gut entwickelt habe. Er machte aber keine Angaben zu Nawalnys Aufenthaltsort oder zu Schutzmaßnahmen.
Nach Angaben der Bundesregierung wurde Nawalny "zweifelsfrei" mit einem chemischen Nervenkampfstoff aus der sogenannten Nowitschok-Gruppe vergiftet. Moskau weist den Verdacht zurück, staatliche russische Stellen könnten Nawalny gezielt vergiftet haben.
Putin brachte einem Zeitungsbericht zufolge eine mögliche Selbstvergiftung des Kreml-Kritikers ins Spiel. Die französische Zeitung "Le Monde" berichtete, Putin habe die Vermutung bei einem Telefonat am 14. September mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron geäußert. Auch in Frankreich liegt inzwischen ein Rechtshilfegesuch der russischen Behörden zu dem Fall vor, das noch geprüft wird.
Bei dem Telefongespräch mit Macron brachte Putin dem Bericht zufolge mehrere Thesen vor, wie es ohne Einmischung russischer Stellen zu der Vergiftung Nawalnys gekommen sein könne. Er verwies neben der Selbstvergiftung auf eine mögliche Verbindung nach Lettland, wo der Hersteller des Nervengifts Nowitschok lebe. Macron wies diese Vermutungen nach den Informationen von "Le Monde" entschieden zurück.
Nawalny selbst machte sich auf dem Onlinedienst Instagram über die Mutmaßungen lustig: "Ich habe Nowitschok in der Küche gekocht", schrieb er dort ironisch. "Davon habe ich etwas aus meinem Flachmann im Flugzeug geschluckt." Er fügte sarkastisch hinzu: "Putin hat mich durchschaut - man kann ihn einfach nicht täuschen."
sae/cfm
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