Angesichts der neu entflammten Gefechte in der Unruheregion Berg-Karabach hat nach Armenien auch Aserbaidschan das Kriegsrecht verhängt. "Das Kriegsrecht tritt um Mitternacht in Kraft", erklärte Präsidentensprecher Hikmet Hadschijew am Sonntagabend in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku.
Außerdem wurde nach seinen Angaben für mehrere große Städte, darunter Baku, sowie Gebiete in der Nähe der Frontlinie in Berg-Karabach eine nächtliche Ausgangssperre angeordnet. Zugleich vermeldete der Sprecher militärische Erfolge; so hätten die aserbaidschanischen Streitkräfte einen strategisch wichtigen Berg in der Region eingenommen.
Der bewaffnete Konflikt um die seit Jahrzehnten umstrittene Kaukasusregion war am Sonntagmorgen wieder voll entbrannt. Nach Angaben der pro-armenischen Regionalregierung bombardierte die aserbaidschanische Armee Ziele in Berg-Karabach, darunter auch die Hauptstadt Stepanakert. Aserbaidschans Verteidigungsministerium erklärte dagegen, die Armee habe eine "Gegenoffensive" gestartet, um "Armeniens Militäraktivitäten" in der Region zu stoppen.
Die EU und Russland riefen zu seinem sofortigen Ende der Kampfhandlungen auf, die Türkei bekundete ihre volle Unterstützung für Aserbaidschan. Am Abend erklärte der russische Staatschef Wladimir Putin, eine weitere Eskalation des Konfliktes müsse vermieden werden. Nach Angaben des Kreml telefonierte Putin mit dem armenischen Regierungschef Nikol Paschinjan. "Wesentlich ist, dass die Kampfhandlungen beendet werden müssen", sagte Putin demnach.
Zuvor hatte Paschinjan seinerseits das Kriegsrecht in seinem Land verhängt und die Generalmobilmachung angeordnet. Aserbaidschans "autoritäres Regime hat dem armenischen Volk erneut den Krieg erklärt", sagte er im armenischen Fernsehen. "Wir stehen vor einem umfassenden Krieg im Südkaukasus."
Nach Angaben der pro-armenischen Stellen in der Kaukasusregion wurden am Sonntag 16 ihrer Kämpfer getötet. Mehr als hundert weitere "Dienstleute" seien bei den Kämpfen verletzt worden, hieß es weiter. Die offiziellen Stellen in den Hauptstädten Eriwan und Baku hatten zuvor auch von zivilen Todesopfern berichtet.
Die ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien und Aserbaidschan befinden sich seit fast 30 Jahren im Konflikt um Berg-Karabach. Die mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region war zu Sowjetzeiten Aserbaidschan zugeschlagen worden. Pro-armenische Rebellen brachten das Gebiet nach Kämpfen mit rund 30.000 Todesopfern Anfang der 90er Jahre unter ihre Kontrolle.
1991 rief Berg-Karabach seine Unabhängigkeit aus; international wird das Gebiet jedoch bis heute nicht als eigenständiger Staat, sondern als Teil Aserbaidschans angesehen. Die Regierung in Baku will die Region wieder vollständig unter ihre Kontrolle bringen, notfalls mit Gewalt.
Russland und die Türkei konkurrieren um Einfluss in der Kaukasusregion. Das ölreiche Aserbaidschan hat seine Armee in den vergangenen Jahren hochgerüstet und kann auf die Unterstützung der Türkei zählen. Russland unterstützt dagegen Armenien, wo es einen Militärstützpunkt unterhält.
ju/mid
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