Regensburg - (ots) - Das war kein klassisches Präsidentschafts-Duell, sondern ein Blick
zurück nach vorn in ein autokratisches Amerika, wie es sich Donald Trump
vorstellt. Wie schon in den vergangenen dreieinhalb Jahren im Weißen
Haus so hielt sich der US-Präsident in den 90 Minuten nicht an eine
einzige Regel. Stattdessen versuchte er, alle Anwesenden mundtot zu
machen. Trump missbrauchte den Moderator, seinen Herausforderer und die
Wähler. Das Gepolter, die Lügen und die Unanständigkeiten Trumps machten
eines deutlich: Dieser Mann tritt nicht gegen einen Herausforderer an,
sondern die Demokratie selbst. Der Amtsinhaber ließ keinen Zweifel
daran, alles andere als einen eigenen Sieg nicht anerkennen zu wollen.
Seine erfundenen Behauptungen über die Integrität der Wahlen, klingen
wie die lahme Ausrede eines Verlierers, der weiß wie es um seine
Aussichten für eine Wiederwahl steht.
Der demokratische Kandidat Joe Biden bemühte sich darum, einen zivilen
Diskurs zu führen. Nicht einmal erlaubte ihm Trump, ein Argument
ungestört auszuführen. Das Verhalten Trumps zwang den überforderten
Fox-Moderator Chris Wallace dazu, Partei zu ergreifen und den
Präsidenten zurechtzuweisen.
Während es Trump darum ging, seiner Basis
zu beweisen, dass er seinen Gegner dominieren kann, versuchte Biden den
Poltergeist zu ignorieren und sich direkt an die Wähler zu wenden. Er
lachte über die Lügen hinweg. An einer Stelle ließ er sich entnervt dazu
hinreißen, Trump als "Clown" zu bezeichnen.
Für Biden, der in nationalen Umfragen und in denen der
Wechselwählerstaaten stabil führt, lag die Latte niedrig.
Der Präsident
verspottet seinen Konkurrenten im Wahlkampf regelmäßig als "schläfrigen
Joe". Der 77-jährige Biden wisse nicht einmal, ob er lebt, lästerte der
Präsident kürzlich. Biden entsprach in Cleveland jedoch keineswegs der
Karikatur eines senilen Politikers und er verkörperte erst recht nicht
die Marionette einer linksradikalen Partei.
Die Taktik des Präsidenten ging nicht auf. Er verspielte seine vielleicht letzte Chance, die Dynamik im Wahlkampf noch einmal zu verändern. Das Rennen um das Weiße Haus ist seit Anfang des Jahres überraschend unverändert. Der Abstand von knapp sieben Prozent im Durchschnitt aller nationalen Umfragen hat sich praktisch nicht verändert. Auch in den entscheidenden Wechselwähler-Staaten führt Biden mit Werten um die 50-Prozent-Marke.
Die Faustformel von US-Wahlkämpfen besagt, dass Debatten nur dann etwas bewegen, wenn Kandidaten kapitale Fehler begehen. Das widerfuhr 1960 dem blassen Richard Nixon, dem im Scheinwerferlicht die Schweißperlen herunterliefen, während John F. Kennedy jugendlichen Optimismus ausstrahlte. Vierzig Jahre später kam Al Gore im Fernsehduell mit George W. Bush so sehr als Bully rüber, dass er die Sympathien der Amerikaner verlor. In allen anderen Wahlkämpfen lassen sich so gut wie keine Veränderungen in den Umfragen feststellen.
Für Biden reichte es deshalb, ohne größere
Patzer durch die Debatte zu kommen. Trump könnte mit seinem beispiellos
negativen Auftritt dagegen Wähler abgeschreckt haben. Allen voran die
Frauen in den Vororten ab, als deren Retter er sich inszeniert. Seine
Weigerung, sich von Rechtsextremisten zu distanzieren, Maske zu tragen
und den Konsens der Wissenschaft von Covid-19 bis zum Klimawandel zu
akzeptieren, gewinnt ihm keine einzige moderate Stimme. Und die
persönlichen Attacken gegen Bidens Familie unterstrichen die eisige
Kälte, die dieser skrupellose Narzisst versprüht.
Wer die erste von vielleicht drei Debatten gewonnen hat, steht außer
Frage: Biden. Weniger sicher scheint, ob die amerikanische Demokratie
diesen Anschlag übersteht. Trump machte mehrfach deutlich, dass er eine
Niederlage an der Wahlurne als Beleg für eine Manipulation sieht. Statt
zu versichern, die Ergebnisse des demokratischen Prozesses anzuerkennen,
appellierte er an gewaltbereite Rechtsextreme, wie die "Proud Boys",
sich auf den Fall der Fälle bereit zu halten.
Die Amerikaner wissen nach
dieser Nacht alles, was sie wissen müssen. Am 3. November geht es nicht
um bloß Trump oder Biden, sondern die Zukunft der Demokratie selbst.
von Thomas Spang