"Dazu gehört auch, dass wir offen über Fehler und Ungerechtigkeiten sprechen", sagte Steinmeier am Samstag beim zentralen Festakt in Potsdam. Er regte an, eine Gedenkstätte für die friedliche Revolution zu errichten. Diese Revolution könne "auch heute Ermutigung sein - dann schaffen wir doch auch eine Stätte, die an diesen Mut erinnert".
Die Gedenkfeiern fanden ganz im Zeichen der Corona-Pandemie statt. Zu dem Festakt in der Metropolis-Halle im Filmpark Potsdam waren nur 230 Teilnehmer geladen; das ursprünglich geplante große Bürgerfest wurde abgesagt.
Steinmeier nutzte seine Rede für einen gedenkpolitischen Vorstoß: Er plädierte für die Einrichtung eines "herausgehobenen Orts", der an die "wirkmächtigen Freiheits- und Demokratieimpulse der Friedlichen Revolutionäre erinnert".
Dieser Ort solle für immer daran erinnern, "dass die Ostdeutschen ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen und sich selbst befreit haben". Zu Form und möglichem Standort der Gedenkstätte wollte sich Steinmeier zunächst nicht äußern.
In den Ansprachen der Festredner nahm der Verweis auf die enormen Verwerfungen in Ostdeutschland im Zuge der Vereinigung eine zentrale Rolle ein. "Keine Frage: Der Umbruch traf die Menschen im Osten unseres Landes ungleich härter als die im Westen", sagte Steinmeier. "Und er hinterlässt bis heute Spuren, trotz aller großen Fortschritte."
Insgesamt zog Steinmeier eine positive Bilanz: "Wir leben heute in dem besten Deutschland, das es jemals gegeben hat", sagte er. Die Deutschen seien "Glückskinder in der Mitte Europas", die keinen Grund zur Mutlosigkeit hätten.
Steinmeier ging auch auf Defizite im Einigungsprozess ein: Es fehle auch 30 Jahre nach dem Ende der DDR an einer gemeinsamen Lesart der Vereinigungsgeschichte in Ost und West - gerade auch, was die tiefgreifenden Umwälzungen in Ostdeutschland betreffe.
"Nicht streiten müssen wir über die Frage, welche traumatischen Folgen die Abwicklung ganzer Betriebe hatte, was die Auflösung der an diesen Betrieben hängenden sozialen und kulturellen Strukturen für die Ostdeutschen bedeutete", sagte Steinmeier. Wenn Menschen sich "dauerhaft zurückgesetzt" fühlen, "dann bröckelt der Zusammenhalt, dann steigt das Misstrauen in die Politik, dann wächst der Nährboden für Populismus und extremistische Parteien".
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), der als amtierender Bundesratspräsident Gastgeber des Festakts war, rief zu einer besonderen Würdigung de Beitrags Ostdeutschlands zum vereinigten Gesamtstaat auf. Es sei "gut, dass sich bundesweit immer öfter die Erkenntnis durchsetzt: Vom Osten kann man lernen", sagte Woidke. Als Beispiele nannte er eine "selbstbewusste Frauenpolitik, Betriebskindergärten oder Polikliniken als Gesundheitszentren".
Woidke zog ein gemischtes Fazit des Einigungsprozesses. "Die Deutsche Einheit ist ein großer Erfolg, und dennoch ist sie keine reine Erfolgsgeschichte", sagte er. "Rückschläge, Niederlagen und Fehler gehören zu unserem Weg dazu."
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dankte in Potsdam den Bürgern Deutschlands und den Verbündeten im Ausland für ihren Beitrag zur Deutschen Einheit. Der 30. Jahrestag der Vereinigung könne nun "in Frieden und Freiheit" begangen werden, sagte sie am Rande des zentralen Festakts. "Es brauchte viel Mut, um dahin zu kommen, und Menschen in der damaligen DDR, die auf die Straße gegangen sind, die friedliche Revolution in Gang gesetzt haben."
Unter den Gästen des Festakts waren Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), Verfassungsgerichtspräsident Stephan Harbarth, Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU), Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und mehrere Ministerpräsidenten. Knapp die Hälfte der Gäste waren engagierte Bürgerinnen und Bürger aus allen Bundesländern.
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