Hans hätte wohl wieder eine kleine Schale auf den Finger gelegt und sanft abgenommen: Biberkopf! Rainer Werner Fassbinder, geboren am 31. Mai 1945, schrieb über 50 Filme und brachte 41 davon auf die Leinwand. Er schrieb vier Hörspiele und unzählige Theaterstücke. Sein letztes Werk, „Rosa Luxemburg“, das er mit Romi Schneider besetzen wollte, lag noch auf dem Boden ausgebreitet, auf dem auch, am 10. Juni 1982, um fünf Uhr früh, in München seine Leiche gefunden wurde.
Der Tag an dem Ronald Reagan Deutschland erobern sollte wurde zu einem späten Triumphzug des Vielgescholtenen.“ Die Bettleroper“, „Katzelmacher „nur eine Scheibe Brot“ und besonders sein Fernsehspiel „Berlin Alexanderplatz“ haben die deutsche Filmlandschaft geprägt und wie ein TV Kolumnist an seinem Todestag feststellte: beinahe zerbrochen. Weil er den Finger in die Wunden gelegt hat, vor denen Nachkriegsdeutschland gern die Augen verbarg; Korruption, Spießigkeit, Oberflächlichkeit und Anpassung. Erst an die Nationalsozialisten und jetzt an den „american way of life“.
Die Deutschen waren schon immer gut im Anpassen. Als hätte es nie ein Holocaust gegeben, gehen wir heute mit unserer Vergangenheit um. Ein anderer Kolumnist, dessen Namen mir leider entfallen ist, schrieb einmal, dass wir selbst im Büßen die besten sein wollen.
Aus „Blut am Hals der Katze“ stammt eine Passage, die mir, seit ich sie auswendig lernen und spielen durfte, nicht mehr aus dem Kopf geht:
Es ist schön, sich zu unterwerfen. Den Spaß daran kann man erlernen. Und es gibt Bücher, die musst du lesen, wo Frauen ganz zu Frauen werden, nur dazu da, dem Mann, den sie lieben, Spaß zu bereiten.
Nein, Fassbinder war kein Chauvi oder Judenhasser wie man ihm auch vorwarf. Rainer Werner Fassbinder war die zerbrechliche Schale einer Kindergeneration, die in Schulklassen mit 100 anderen Anstand, Gehorsam und Disziplin lernten, aber dabei nicht vergaßen, die Seele zu töten, denn Angst isst Seele auf und acht Stunden sind kein Tag.
Kokain und Alkohol hielten seinen Motor magere 37 Jahre am Leben. Beständig rackerte er sich dabei an Gesellschaftsmodellen und Geschichten ab, die vom Gebrechen eines jungen Deutschland kündeten. Egal ob „Effi Briest“ oder „das brennende Dorf“ sind dabei Werke, die weh tun, weil sie sich unter die Haut fressen und über die Lebensadern ins Herz beißen. Immer, wenn etwas schief läuft, schmerzt es, aber ein Cognac hilft. Und noch einer. Bis auch er keine Linderung mehr garantieren kann.
Wie wichtig wäre heute ein Rainer Werner Fassbinder. Einer, der mit 650.000 Mark (!) vier Filme in einem Jahr abdreht, weil er nicht anders kann. Das ist natürlich obszön, würde Phoebe, die eben zitierte Person jetzt wohl einwerfen. Aber die Geschichten mussten erzählt werden. Die von der normalen Hausfrau, die sich in einen Gastarbeiter verliebt und daran zerbricht, oder ihr Mann, der im wahren Leben als Fassbinders Geliebter an dieser Herausforderung zerbricht.
Denk ich an Fassbinder, denk ich an Hamburg, obwohl er meist in Berlin und München gelebt hat (natürlich auch Anfang der 80er einige Monate in Paris). Aber das Hamburg, an das er mich erinnert, ist das, in dem ich gelebt habe. Ein Kiez, dessen Kneipiers mit mir zusammen wohnten und dessen Regieassistentinnen (meine Hanna Schygulla)unter meiner Dusche standen. Ein Hamburg, in dem die Bordsteinschwalben meinen Wohnungsschlüssel hatten, weil ich ihn schon immer gern verlor.
Meine Fassbinderwelt ist dreckig und kaputt, aber verbirgt ihre Liebe nicht und schon gar nicht mit billigen Attitüden oder Statussymbolen. Sie kokettiert damit. In meinem Hamburg kackt der Köter auf die Straße, und der Cobe lockt mit üppigen Worten ins Etablissement der Träume, während gegenüber der Albaner seine goldenen Rolex‘ zählt. Mein Hamburg und meine Welt, die ich mit Fassbinder verbinde, erinnern an das „deutsche Kettensägenmassaker“ von Christoph Schlingensief und die tragische Figur des „Idiot“ von Dostojewskij.
Und in diesem Hamburg hatte der Film „entfant terrible“, von Oskar Röhler über das Leben eines Ausnahmetalentes auf dem Filmfest am 25. September Premiere. Als „One-man-show“, so“ ttt“ in der ARD, ein großartiges Werk, besonders dank des aufopfernden Oliver Masucci. Ich geh ins Kino, das steht fest, aber vorher lese ich mal wieder „Tropfen auf heiße Steine“ seine sämtlichen Werke und träume dabei von einer Schachtel Marlboro und dem zotteligen Barden, der sich daran lustig bedient, weil man in meinen Träumen im Kino noch rauchen darf und immer dürfen wird.Ach ja, hier der Trailer:
https://www.youtube.com/watch?v=aXlWpfvzFm4
Bis morgen (im Kino, denn ab 1.10 läuft er angeblich Deutschland weit),
Bild und Text: Adolf Ulf Muenstermasnn