Berlin Alexanderplatz, acht Stunden sind kein Tag, Lolita und Angst essen Seele auf, allein die Titel seiner Produktionen lassen ahnen, dass der Arztsohn aus Bayern dahin geht, wo es weh tut. Und auf dem Weg zum Gipfel der Kontroversität einer Nachkriegsgesellschaft die ihre Identität verloren und noch keine neue gefunden hat, platzt der kleine Mann mit den rudimentären Barthaaren im aufgedunsenen Gesicht in ein Deutschland, das gar nicht wusste, wie reflektiert es sein kann.
Oscar Röhler hat nun das Leben des Rainer Werner Fassbinders auf die Leinwand gebracht. Enfant terrible. Hier ist der Name Programm und bei allem, was die Arbeit so kompromisslos besonders macht, bleibt leider die Tiefsinnigkeit etwas auf der Strecke.
Abgesehen davon, dass ich wirklich noch nie so ein peinlich pubertäres Publikum wie gestern erlebt habe, wünschte ich mir eigentlich, eine ultimative Lobhudelei über dieses moderne Stück Kinogeschichte schreiben zu können. Die gesprayten Kulissen, der Hauptdarsteller Oliver Masucci und der Schnitt sind wirklich großes Kino, ohne Abstriche, aber was mir fehlte war die Entwicklung. Die anthropologische Version des Ausnahmekünstlers reduziert sich meines Erachtens zu sehr auf Effekthascherei. Da wird gekokst, gesoffen, gepöbelt und gevögelt. Soweit so modern, aber dass Fassbinder viele Jahre beinahe ausschließlich Tee getrunken hat und erst Mitte der 70er zu exzessivem Körpermissbrauch neigte, dem er schließlich 1982 erlag, wird verschwiegen. Auch die Hauptmuse Hanna Schygulla wurde beinahe völlig verschwiegen.
Für Röhler war Fassbinder eine schwule Sau, die exzessiv lebte und alles missbrauchte, was sich missbrauchen ließ, dabei weiß jeder, der sich die Werke von ihm anschaute, dass „Rainer“ weit mehr war. Seine schwulen Tendenzen, die eigentlich nur eine Facette des bisexuellen Fassbinders darstellten, standen im Zentrum des über zweistündigen Films. Für das Publikum willkommen. Endlich ein Grund über homosexuellen Oralverkehr und alternde Transvestiten zu lachen und sich am Drogenabsturz anderer berauschen zu können.
Wenn das das Ziel war, hat Röhler es erreicht, wenn nicht, bleibt „enfant terrible“ eine , wie „ttt“ zu recht resümiert, eine beeindruckende „One-man-show“ des Hauptdarstellers. Katja Riemann und Desiree Nick gehören nicht in moderne Kulturprojekte wie dieses, und für einen Film über einen Filmemacher der kompromisslos ehrlich war, lässt der Film zu viel im Dunkeln. Er verschweigt keine einzige Zigarette des Kettenrauchers Fassbinder, aber beinahe jede ehrliche Schwäche.
Schade, ich hätte mehr erwartet, aber die vielen guten Ideen, wie der Art-house-Effekt, den man nur realisiert, wenn man darauf achtet, sind großartig. Die Schauspieler sind beinahe alle großartig und tragen das eher schwache Drehbuch.
Besonders lobenswert erscheint mir aber das Kino, die Kurbelkiste an der Warendorfer Straße selbst. Obwohl die Kommunikation mit der Karte nicht klappte, bekam ich anstandslos Einlass und der junge Mann an der Kasse war selbst ein eingefleischter Cineast. Eher selten, aber wie sagte er selbst so schön: Unter der Krise haben auch die Programmkinos gelitten, aber die Zuschauer sind treuer als beim Mainstreamkomplex nahe der Münsterlandhalle.
Also, gehen Sie mal wieder ins „Cinema“, es muss ja nicht
unbedingt „enfant terrible“ sein, es sei denn, sie haben schon lange keinen
Dicken im Leopardenanzug mehr gesehen.
Wertung: drei von sechs warmen Bier
Text: adolf.muenstermann@gmail.com